Auftritt
Deutsches Theater Berlin: Das Wummern im Innern
„Baracke“ von Rainald Goetz (UA) – Regie Claudia Bossard, Bühne Elisabeth Weiß, Kostüme Andy Besuch, Sound und Video Annalena Fröhlich
Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Claudia Bossard Rainald Goetz Deutsches Theater (Berlin)
Es beginnt rhythmisch. Mareike Beykirch zählt die Titel der Werke von Rainald Goetz zu einem Beat im Loop auf. Im Hintergrund des disparaten Bühnenbildes (eine LED-Wand, eine neonfarbene Treppe, ein Vorhang eines Waldfotos) ein Soldat. „Ich bin der Hass“, sagt er. Darauf folgt, was programmatisch für den Abend wird: Knallende Sounds. Es ist nicht klar, ob Schüsse fallen oder Techno Beats. Alle Extreme liegen nah aneinander.
Rainald Goetz hat einen Text über Liebe geschrieben. „Trubelturbulenz der Menschenkörper“, wie es bei ihm heißt. Im Goetz-Stil schwellen die Textkaskaden an, aus der Faszination füreinander wird schnell auch der Hass.
Bea (Mareike Beykirch), die zentrale Figur des Abends, beginnt eine Liebesbeziehung mit Ramin (Jeremy Mockridge). Was Liebe ist, wird Alltag, Ramin möchte sprechen, kommunizieren, das nicht-Kommunizierbare in der Liebe aushandeln. Ihre Liebe scheitert. Dass das in einer Galerie passiert, in der eine Ausstellung „Tender is the night“ zu sehen ist, spricht für die Inszenierung. Das Figurenpersonal aus dem thüringischen Krölpa – Goetz-Leser:innen kennen den Ort als den Sitz des Imperiums von Johan Holtrop – spricht eine Sprache, die sich disparat zu ihnen selbst verhält. Die voller Anspielungen, soziologischer Betrachtungen und hyperreflektierter Komplexität ist. Und vor allem: eine Sprache, die sich selbst gegenüber skeptisch ist. Der Andere bleibt ein Geheimnis, muss unverständlich bleiben, die Sprache kann nicht der Kommunikation in der Intimbeziehung gereichen.
Bea beginnt später eine Beziehung mit Uwe (Janek Maudrich). Der NSU bricht ein, Gewalt, Hass, Exzess, das brennende Wohnmobil, der Doppelsuizid. Und mit dem NSU auch das Bild der Geschichte als Schlachthaus. Es gibt kein Entkommen aus den Gewaltspiralen, aus der Geschichte, die sich spiralförmig in den Abgrund dreht. Die kleinbürgerliche Familie und das Versagen deutscher Behörden kollidieren. Was folgt sind verschiedene Szenen der Spielarten von Gewalt.
„Alle Gewalt geht von der Familie aus“, heißt es im Text. Die Familie ist totalitär. Zwei Figuren, die wie lebende Bilder auftreten (Natalie Seelig und Andri Schernadi), rufen die deutsche Nationalvorstellung auf: Goethe, Schiller, der thüringische Wald. Im folgenden wechseln Szenen, in der Gewalt verschiedene (inszenatorische) Formen annimmt. Das Gespräch über patriarchale Gewalt der beiden Goethe-Figuren, das Gespräch mit einer Freundin, dass der Vater die Mutter schlägt, realistisch und figuriert, Bea, die geschlagen wird, ohne berührt zu werden, und Beykirch Schreie und Schmerzen spielt, der Dialog über die Rechtsform, die Köpfe der Figuren sind ausgetauscht durch abstrakte Formen, das unterstreicht den Abstand des Gesetzes vom Gegenstand, gibt der Gewalt eine Perspektive, die über den Einzelfall hinausgeht.
Es wummert im Innern. Im Innern der Körper, im Innern Deutschlands. Es wäre nicht Goetz, läge nicht der Rausch an der Liebe an der Gewalt am Exzess. Die Familie als Keimzelle allen Leids, allen Hass‘ und letztlich damit auch des Terrors, schafft keinen Ausweg. Ist man der eigenen Familie scheinbar entkommen, bricht ihr Terror wieder aus in Form eigener Kinder. Während in neobürgerlicher Atmosphäre, realistisch ausgestattet, vollkommen anachronistisch das Klingeln des iPhone einbricht, wird klar: Die Gewalt perpetuiert sich.
Dem Ensemble gelingt es, den Textberg, den Schwall, der eine Überforderung für das Gehirn des Publikums darstellen muss, in einen Fluss zu bekommen, in Szenen, die Flächen in Figuren mit Dimensionen, mit Erfahrungen und Tiefenschärfe. Lustvoll und energetisch stellt es sich vor. Es wird in der Gemengelage aus Referenzen, Soziologie, Konsumismus, Gewalt und Sprachskepsis eine Geschichte erzählt und mehr noch: sie wird plastisch, konkret.
Die Regie erfindet szenische Elemente, die alle Metaebenen des Textes in Form einer weiteren auf der inszenatorischen Ebene erweitern, dadurch aber greifbar machen. Bossard vertraut auf den Text, auf die Mittel und wichtiger: auf ihr Ensemble. Wie ein Todesengel tritt immer wieder Evamaria Salcher auf, singt und trägt einen Bodysuit mit gespiegelten NS-Symbolen. Das ist einzig zeitweise etwas überdeutlich. Im Hintergrund läuft im Kontinuum des Grauens, auf Video, 9/11, Berlusconi, Trump, Kurz, etc., immer weiter geht es, blind. Was aber zu kurz kommt: die Perspektive derer, die die Gewalt erleben. Weder werden auf einer der zahlreichen Textebenen die Opfer des NSU erwähnt, noch erschließt sich in der Inszenierung ein subversives Potenzial für die leidtragenden der Ehe als patriarchaler Gewaltinstitution. Die Frauenfiguren nehmen das alles eher mit Resignation hin.
So geht es in diesem Text eher monothematisch um die Frage nach dem Entstehen von Gewalt in der Keimzelle der Familie, stellt sprachgewaltig aus, was er kann. Eine Utopie oder gar eine Konsequenz fehlt.
Erschienen am 28.9.2023