Theaterkünstler*innen
Röggla I–III. III: Andere müssen eben arbeiten ...
Kathrin Rögglas „Verfahren“ in Saarbrücken uraufgeführt
von Björn Hayer
Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)
Assoziationen: Saarland Akteure Dramatik Sprechtheater Theaterkritiken Saarländisches Staatstheater Theater Rampe

Das Gerichtsdrama scheint en vogue zu sein. Man denke nur an die theatralische Bühnenanklage unseres Versagens in der Klimapolitik, Andres Veiels „Ökozid“, oder an Ferdinand von Schirachs „Gott“, das in verschiedenen Häusern der Republik rauf und runter gespielt wird. Und natürlich wäre da auch noch Elfriede Jelineks „Das schweigende Mädchen“, eine Farce über den NSU-Prozess zu erwähnen. Und war da noch was? Ja, nun reiht sich auch Kathrin Röggla mit ihrem just am Saarländischen Staatstheater zur Uraufführung gebrachten Werk „Verfahren“ in diese Riege ein und nimmt dazu wie die österreichische Nobelpreisträgerin die mehrjährige strafrechtliche Aufarbeitung um Beate Zschäpe zum Anlass.
Allerdings betrachtet sie weniger die juristischen Akteure oder die Beweisführung als vielmehr das damalige Publikum. Die stereotypen Figuren „Gerichtsoma“ (Martina Struppek) samt „Gerichtsopa“ (Alexander Ebeert), die „Frau von der türkischen Botschaft“ (Anne Rieckhof), ein „sogenannter Ausländer“ (Raimund Widra), der „Kollege Strafverteidiger“ (Burak Hoffmann), die linksalternative „Blogger*in“ (Silvio Kretschmer) sowie die „Gerichtsdienerin“ (Florence Adjidome) schauen noch einmal zurück. Das Bild wird aber nicht klarer. Der Protagonist mit Migrationshintergrund erhält kaum Zutritt zum Tribunal, eine andere plädiert dafür, jetzt doch endlich den Blick in die Zukunft zu richten. Auch Kritik findet ihren Raum, etwa an den Medien, die den Prozess vermeintlich klein und gut verdaulich zurechtstutzen wollten. Und überhaupt, findet eine der Figuren, dürfe ja heute vieles nicht mehr gesagt werden.
Worum es Röggla bei dieser Umkreisung des lediglich am Rande vorkommenden Gerichtsgeschehens geht, ist offenbar die Frage, was wir daraus gelernt haben. Entgegen aller Hoffnungen, die juristische Prozedur würde uns alle freisprechen und gleich noch erlösen, scheinen die meisten wenig daraus gelernt zu haben. Es stünde eben, so die doppelbödige Wendung einer Protagonistin, vieles nicht am „rechten Platz“. Um diesen Missstand zu verdeutlichen, bedient sich Röggla aller Register dekonstruktiver Sprachkritik. Ihr Text karikiert Phrasen, spielt mit Mehrdeutigkeiten und Klischees. Nur ein Beispiel: Wenn der unter Termindruck leidende Anwalt im Nebensatz betont, dass er ja im Gegensatz zu anderen arbeiten müsse, ist die Flankierung klar. Natürlich schwingt hier das Vorurteil über den faulen, selbstverständlich ausländischen Hängemattenbewohner mit.
Trotz diverser Bemühungen zum Verstehen der Hintergründe bleiben die dargestellten Beobachter des Verfahrens ratlos, schauen sie doch immer wieder in ein von innen beleuchtetes Loch auf der Bühne – als würde darin die große Wahrheit verborgen liegen. Ansonsten sprechen sie zum Publikum, tänzeln, posieren in skurril-surrealen Kostümen über die Bühne und vollziehen nicht weiter entschlüsselbare krampfartige Bewegungen beim Szenenwechsel. Das architektonische Ensemble bietet dafür genügend Möglichkeiten. Denn wir haben es mit einem großen Treppenpodest mit Rampen zu tun. Alles in (Unschulds-)Weiß, erinnernd an eine Treppe zum Justizgebäude oder eine Mondlandschaft aus einer Zeitreise gleichermaßen.
Dahinter ist das Nichts, ein Blick in die Endlosigkeit der Dunkelheit. Auch dieser Prozess wird, wie man uns mitteilt, „nie vorbei“ sein. Wohl auch deswegen kreist die Gerichtsdienerin, die zeitweise in einem überdimensionalen Reifrockkleid auftritt, am Ende mit einem Fahrrad um die Kulisse. Leider kommt ebenso die Inszenierung nicht über eine permanente thematische Umkreisung hinaus. Zwar besticht die sprachkritische Textur Rögglas, gleichwohl mangelt es ihr an einem Mehrwert für eine zweistündige Bühnendarbietung. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch eine allzu dünne Regiehandschrift. Sichtlich mangelt es Marie Bues an genügend aussagekräftigen und zündenden Bildern, um der Vorlage das nötige Leben einzuhauchen. „Que Sera Sera?“, fragt eine Figur mit dem berühmten Doris-Day-Lied auf den Lippen. Wer weiß das schon? Zumindest auf den Bühnen der Welt ist die Geschichte um das NSU-Trio noch nicht auserzählt. //