Positionen
Uncool?
Französische Stücke schaffen es kaum mehr auf deutsche Bühnen. Warum?
von Almuth Voß
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Frankreich (10/2017)
Französisches Theater sei sprachlastig, handlungsarm, wenn nicht substanzlos boulevardesk, dann im Übermaß abstrakt und formverliebt. So alt und beständig die deutschen Klischees, so sehr verdienen sie Beachtung. Weil darin das viel zitierte „Körnchen Wahrheit“ steckt; mehr noch, weil sie die Wahrnehmung französischer Dramatik in Deutschland bis heute prägen: Sie bestimmen, wie deutsche Dramaturgen und Regisseure französische Stücke lesen, sie beeinflussen auch die Übersetzungen.
Dabei schien das französische Theater von Belang. Umweht vom Flair künstlerischer Avantgarde und rhetorischer Raffinesse, reisten so unterschiedliche Autoren wie Claudel, Camus, Ionesco, Genet, Koltès, wie Feydeau, Anouilh oder Eric-Emmanuel Schmitt und Yasmina Reza bei uns jahrzehntelang erfolgreich mit dem Frankreichticket. Aber die Auseinandersetzung mit dem Nachbarn ist in Deutschland abgerissen; französische Stücke sind hier kaum mehr vermittelbar. Immer weniger wird übersetzt, noch weniger aufgeführt; schlimmer: Die Bühnenlandschaft Frankreichs gilt, ähnlich wie das Land an sich, als unspannend, nicht innovativ. Gott lebt nicht mehr in Frankreich, wusste Der Spiegel schon vor Jahren. Niemand pilgert heute zum Festival nach Avignon, Isabelle Huppert und Michel Piccoli sind schwer in die Jahre gekommen, Stars wie Patrice Chéreau bislang ohne Nachfolge geblieben.
Wenn sich deutsche Programmmacher im Ausland umsehen, suchen sie „starke“ Regiehandschriften. Das französische, vorrangig dem Text verpflichtete Theater erscheint...