lausitz
Laboratorium Lausitz
Gespräch mit Lutz Hillmann und Stephan Märki über Theater in der Lausitz, Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Ober- und Niederlausitz, Sorbisches und Polnisches – sowie über Perspektiven
von Lutz Hillmann, Thomas Irmer, Stephan Märki und Michael Bartsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Assoziationen: Europa Sachsen Brandenburg Staatstheater Cottbus Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen
TdZ: Man hört ja oft, die Oberlausitz mit dem Bergland von Bautzen bis Zittau und die Niederlausitz mit Cottbus, dem Spreewald und den Tagebaugebieten seien nicht nur landschaftlich verschieden, sondern auch mental und kulturell. Stimmt denn das?
LH: Also das ist wirklich schwierig. Jeder, der von draußen draufguckt, würde sagen, das macht natürlich Sinn, Ober- und Niederlausitz, das muss ja die Lausitz sein. Das gemeinsam zu vermarkten und gemeinsam zu begreifen, liegt doch auf der Hand. Von innen heraus ist das ungleich komplizierter. Die Mentalität der Leute unterscheidet sich schon, weil die Geschichten der Regionen so unterschiedlich sind. Wenn man die kennt, erklären sich plötzlich viele gegenwärtige Phänomene. Auch diese Erzählung von Niederschlesien als in die Oberlausitz hinüberschwappend, das gehört mit zu dem riesigen Themenkomplex, der die Identität erschwert.
Das Hauptproblem für den anstehenden Strukturwandel heute besteht darin, dass wir zwei unterschiedlich regierte Bundesländer haben, Brandenburg und Sachsen. Das nächste Problem ist, dass es unterschiedliche Fördersysteme und -programme gibt, dass man sich nicht durchringen konnte, überregional und länderübergreifend Fördergesellschaften einzusetzen. Einerseits ist da die sogenannte Wirtschaftsregion Lausitz GmbH, die länderübergreifend gedacht war, aber von den sächsischen Partnern verlassen wurde und jetzt nur noch für die Niederlausitz da ist. In Sachsen kümmert sich seitdem die SAS (Sächsische Agentur für Strukturwandel) um die Geldverteilung. Beides fast ausschließlich für Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur. Und der Versuch für die Kultur, also diese durch das Münchner Beratungsunternehmen actori initiierte Kulturplan-Lausitz-Geschichte, wird zwar mit Akteuren aus beiden Lausitzen besetzt, aber am Ende kommt doch nichts Gemeinsames dabei heraus. Auch wenn es logisch erscheint und viele sich das wünschen, dass wir eine Lausitz-Identität herstellen können, sind da schon organisatorisch und systematisch viele Steine im Weg. Und herbeigeredet werden kann das nicht. Eine Einheit der Lausitzen ist gegenwärtig ganz schwer in Sicht.
TdZ: Sie selbst stammen aus der Gegend und leiten das Bautzener Theater seit vielen Jahren.
LH: Ich bin bekennender Oberlausitzer und weiß um die hiesige Mentalität ganz gut Bescheid, mit allen Ecken und Kanten und auch dem, was wir jetzt gerade in der Corona-Krise erleben, also dass manche sich wie die Gallier gebärden. In der Niederlausitz kenne ich mich nicht ganz so gut aus. Dort ist man seit 1815 eher preußisch geprägt. Das Preußische hatte einen sehr fortschrittlichen Ansatz, aber dadurch haben sich das Bildungssystem und Verwaltungsstrukturen zum Beispiel vollkommen unterschiedlich entwickelt und so letztlich die Mentalität der Leute verschieden geprägt. Die Oberlausitz war immer, so wie die Niederlausitz früher auch, Lehnsgebiet. In der Oberlausitz hat man die Lehnsherren immer in dem Glauben gelassen, dass sie was zu sagen haben. In Wirklichkeit haben die Oberlausitzer gemacht, was sie wollten. Das war durch die doch sehr dominanten Lehnsherren in der Niederlausitz etwas anders. Dort konnte sich das Selbstbewusstsein der einzelnen Orte nicht so entwickeln, wie es in der Oberlausitz der Fall war.
TdZ: Stephan Märki, Sie stammen aus der Schweiz, die in historisch alte Kantone gegliedert ist. Was ist Ihre Sicht auf diese Lausitz-Problematik?
SM: Als Schweizer und erst seit Kurzem in verantwortlicher Position für das Staatstheater Cottbus, erachte ich mich nicht qualifiziert für ein fachkundiges Urteil. Doch vielleicht lohnt es sich zu unterscheiden zwischen einem reellen Gebiet, das wären zwei je als Lausitz bezeichnete Landstriche in ihren jeweiligen Bundesländern, und einem ideellen Gebiet, das wäre eine Lausitz, die im alltäglich-kulturellen Sprachgebrauch zu einer bundesländerübergreifenden Lausitz würde. Warum sollte es, wenn beide Lausitzen ähnlichen wirtschaftlichen Bedingungen oder Zwängen unterworfen sind, nicht lohnenswert sein, sie als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten? Dass dadurch die sächsische oder brandenburgische Lausitzer Identität verloren ginge, befürchte ich nicht. Die bayerischen Schwaben sind auch nicht identisch mit den Württembergern, trotzdem gibt es ein länderübergreifendes Schwaben. Nur, was sich unterscheidet, kann sich zu einem Mehrwert und Gewinn für beide verbinden.
LH: Die Braunkohle- und Energiegeschichte der Niederlausitz und der nördlichen Oberlausitz hat natürlich dazu geführt, dass sehr viele Leute hergezogen sind, gerade in DDR-Zeiten sind sehr viele Menschen als Arbeitskräfte von überall hierhergekommen. Das hat eine Durchmischung gegeben, das hat auch ein Aufbrechen dieser Mentalitäten bedeutet, aber: nicht zum Besseren, weil das natürlich keine Beständigkeit hatte. Und da weiß ich nicht, ob das nicht am Ende negativ auf die ganze Identität gewirkt hat – und nicht positiv.
TdZ: Die Lausitz als Land der Sorben mit eigener Sprache und Kultur, könnte das nicht die positive Klammer sein?
LH: Das wirft wiederum die Frage nach den Obersorben und den Niedersorben auf, die man übergreifend als „Die Sorben“ bezeichnet. Sie gibt es seit der großen Völkerwanderung im 7./8. Jahrhundert und resultieren aus zwei hier siedelnden Stämmen: die Lusitzer (Lusici) in der Niederlausitz und die Milzener (Milceni) in der Oberlausitz. Es gibt die Domowina als Dach für verschiedene sorbische Institutionen, die für beide Lausitzen zuständig ist, für die Niedersorben und die Obersorben. Da hat man schon etwas Übergreifendes. Obwohl die beiden sorbischen Sprachen auch wirklich selbständige Sprachen sind. Auch das ist wieder etwas Separierendes. Aber dennoch versteht man sich, und man begreift auch, dass man sich alleine nicht mehr behaupten kann. Als nationale Minderheit müssen die Sorben gemeinsam begriffen werden, und daraus resultiert natürlich auch der Begriff „Lausitz“, hauptsächlich von den Sorben geprägt, die sich diese Klammer wünschen. Und ihre Hymne heißt ja auch Rjana Łužica, also „Schöne Lausitz“. Und das ist letztlich die Hauptklammer, mit der wir die Lausitz als Ganzes fassen können.
TdZ: Aber das Deutsch-Sorbische Volkstheater gibt es nur in Bautzen. Ist das ein Problem in der Niederlausitz?
SM: Von Ressentiments habe ich noch nicht gehört und es auch nicht erlebt. Das sorbische Nationalensemble gastiert seit vielen Jahren am Staatstheater. Das Verhältnis ist sehr gut, wir arbeiten eng zusammen und unterstützen einander, wo wir können, ob mit Inszenierungen oder in Ausstattungsfragen. Zudem gibt es seit 2016 den Lausitzer Theaterpreis, der alle Regionen verbindet: Bautzen-Senftenberg-Cottbus. Hier gäbe es noch Verstetigungspotenzial.
LH: Es gibt Stimmen, die sich mehr Präsenz des Theaters in der Niederlausitz wünschen. Wir produzieren pro Spielzeit eine mobile Produktion in niedersorbischer Sprache, die in den Gasthöfen der Dörfer, aber auch mindestens zweimal in der Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus gespielt wird. Dazu kommt eine kleine Inszenierung für die Kindergärten der Niederlausitz und eine Puppentheaterinszenierung. Das Sprachverständnis nimmt aber leider sichtbar ab – immer mehr Menschen im Publikum bedienen sich unserer Kopfhörer der Simultanübersetzungsanlage. Ich fürchte deshalb, der Anspruch entspricht der Realität nicht mehr ganz. Vielleicht sollten wir uns in Zukunft mehr auf niederschwelligere, mehrsprachige Angebote konzentrieren. Und Stephan Märki hat ganz recht: Den Theaterpreis Lausitzen, der Themen der Region auf die Bühne holen will, müssen wir ausbauen! Das ist eine große Chance!
TdZ: Welche Rolle spielt die Hauptstadtferne – Dresden einerseits, Potsdam und Berlin andererseits?
SM: Wir freuen uns eher über die Hauptstadtnähe, zumindest was Berlin betrifft. Wir profitieren sehr davon. Dass Potsdam weiter weg ist, bringt zum einen mit sich, dass sich die beiden Theater unabhängig voneinander entwickeln und trotzdem eng zusammenarbeiten, vor allem im Bereich des Musiktheaters und neuerdings auch im Tanz. Und dass die Landesregierung dort residiert, hat uns noch nicht geschadet. LH: Das sehe ich für Bautzen ähnlich. Aus historischer Sicht möchte ich das sogar zuspitzen: Die Oberlausitzer haben sich nie als Sachsen gefühlt, und ihre Städte waren nie so residenzorientiert wie die Städte um Dresden herum. Insofern gibt es eine Hauptstadtferne, die identitätsstiftend ist.
TdZ: Vielleicht erlaubt ja gerade das auch mehr Nähe zu den slawischen Nachbarn? Was geht über die Neiße hinweg?
LH: Absolut! Wir beteiligen uns gerade an einem großen deutsch-polnischen Interreg-Projekt „Zusammen in die Zukunft“, in dessen Rahmen es im Mai ein großes Freiluft-Puppentheater-Festival in Bautzen geben wird: B.Leben. Darüber hinaus gibt es Aufführungen und Konzerte in Jelenia Góra, Bautzen und Zittau. Das ist horizonterweiternd und macht Spaß. Darüber hinaus haben die Obersorben, sprachlich begründet, seit jeher eine Affinität zu Böhmen. Deshalb gibt es schon lange gute Kontakte unseres Theaters nach Brno und Prag. Das ist schon so normal, dass man es manchmal zu erwähnen vergisst.
SM: Wir bemühen uns sehr, die Brücke über die Neiße zu schlagen. In dieser Spielzeit haben wir noch die Premiere von „Król Roger“ des polnischen Komponisten Karol Szymanowski vor uns, die von dem polnischen Regisseur Krystian Lada inszeniert werden sollte, was wir coronabedingt leider nicht aufrechterhalten konnten; wir werden sie nun zwar mit einem japanischen Regisseur, Tomo Sugao, aber auf Polnisch aufführen. Wir haben eine Kooperation unseres Jungen Staatstheaters mit dem Lubuski Teatr in Zielona Góra mit dem Titel „Die Kunst der Gabe“ laufen, die auch vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wird. Außerdem bauen gerade in Musiktheater und Schauspiel Kooperationen Kontakt mit Theatern und Festivals in polnischen Großstädten für Koproduktionen in den nächsten Spielzeiten auf. Für uns ist unser Nachbarland ein sehr wichtiges Thema, um Cottbus anders zu positionieren, von Osten auf die Stadt und von der Stadt aus nach Osten zu schauen. Es ist Zeit, diese doch eigentlich so enge, wenn auch oft traurige und tragische Verwandtschaft mit Zugewandtheit und Austausch zu füllen.
TdZ: Die Lausitz als Labor der Transformation. In der Niederlausitz und auch in der nördlichen Oberlausitz gibt es eine gewaltige Landschaftsumwandlung, die eng mit dem Energiesektor verbunden war und auf andere Weise jetzt wieder ist. Was gelingt, und was nicht? Und wie wirkt sich das auf die Kultur aus, oder wie wird das von ihr begleitet, kommentiert? Ist die Oberlausitz als Bergregion da zu weit weg?
SM: Theater als Livekommentar zu aktuellen Ereignissen kommt immer zu spät. Wir suchen eher danach, was an solchen akuten Veränderungen auf menschliche und humanistische Konstanten verweist. Wir hatten gerade mit Hauptmanns „Biberpelz“ in der Regie von Armin Petras Premiere; im Stück, das bei Hauptmann südöstlich von Berlin an der Spree spielt, geht es um den Umgang mit strukturbedingtem Mangel und die Auswirkungen auf die Gesellschaftsstruktur. Aus meiner Sicht lässt sich mit solchenStücken viel zu vergleichbaren Strukturveränderungen sagen, weil die Identifikationsfläche breiter ist, weil Bilder von allen, die sie wahrnehmen, unterschiedlich aufgefasst werden und sich alle ihre eigenen Bilder und Analysen davon machen können. Für mich ist Theater bereichernd, wenn es Sehangebote macht, und weniger interessant, wenn es selbst Urteile fällt. Auch lässt sich dadurch die Poesie bewahren. Dafür bringen wir Projekte wie die spartenübergreifende Arbeit „Im Berg“ zur Uraufführung, eine Komposition von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel mit einem Libretto von Armin Petras auf Basis von Franz Fühmanns nachgelassenem Opus magnum. Fühmann beschreibt darin literarisch beispiellos von den Lebens- und Existenzbedingungen seiner Zeit, anhand der großen Metapher und der Realität des Bergwerks. Im Schauspiel werden wir eine weitere Uraufführung von Lukas Rietzschel zeigen, der das Lebensgefühl vieler Menschen in der Lausitz mit dem wundervollen Begriff der Raumfahrer bezeichnet. Solches auf die Bühne zu bringen, sehe ich als lohnenswerten Versuch für aktuelles Theater an, was mit dem Ort, der unmittelbaren Geschichte der Menschen in der Region zu tun haben könnte. Theater kann ja nicht das Leben verändern. Wenn es die Sicht auf das Leben irritiert, ist schon viel erreicht.
LH: Das finde ich auch. Bei dem, was da an Transformation auf uns zukommt, muss das Theater seine Rolle finden, seine Stärke ausspielen. Wir müssen die Prozesse nicht reflektieren wie Politiker oder Journalisten, wir können viel subjektiver, emotionaler damit umgehen. Wir hatten beispielsweise „Birkenbiegen“ von Bukowski auf der Bautzener Bühne, „Das leere Haus“ von Carla Niewöhner oder „Mein vermessenes Land“ von Jurij Koch. Da werden Themen durchgespielt, verhandelt, die direkt mit der Lebenswirklichkeit der Leute hier zu tun haben. Da wird die Welt entpauschalisiert, nicht vereinfacht, aber vielleicht begreifbarer gemacht. Und kommende Spielzeit spielen wir auch ein Stück von Rietzschel: „Widerstand“.
SM: Klar, das demografische Problem ist das brennendste in der Lausitz, denn aus ihm folgen alle anderen. Das werden wir im Theater erst noch spüren. In Cottbus gibt es viel, das angefangen wird und Urbanität schafft; aber unter Bedingungen schwindender Bevölkerungszahlen ist es schwerer. Es gibt Bemühungen, hier neue Arbeitsplätze anzusiedeln, das Stellwerk der Deutschen Bahn und das Medizinzentrum, mit vielen Hundert Arbeitsplätzen in den kommenden Jahren. Doch es bedarf ehrlicherweise Neuansiedlungen für Arbeitsplätze im fünfstelligen, nicht im dreistelligen Bereich. Und wenn der Kohleausstieg nicht rechtzeitig mit innovativen neuen Industriegründungen ausgeglichen wird, wird die Gegend eine weitere Katastrophe erleben. Trägheit, Risikoarmut und der fehlende Mut, Bedingungen zu schaffen und neue Ideen wirklich entstehen, vielleicht auch mal scheitern zu lassen, um Innovationen zu fördern, ist ein landesweites Problem, nicht bloß ein Cottbuser oder Lausitzer. Dieses Dilemma korrespondiert hier aber mit dem zu häufigen Unvermögen der westlichen Perspektive, sich wirklich in die mehrfache Entwurzelung der Lebensläufe vieler Menschen in der Lausitz hineinzuversetzen und diese zu verstehen zu versuchen und vor allem zu versuchen, die Betroffenen einzubinden und gemeinsam Lösungen zu finden. Das habe ich in meiner Zeit hier schon so häufig gehört, die fehlende Wertschätzung und Anerkennung einer Lebensleistung, die keinen Vergleich zu westlichen Lebensläufen kennt, aber eben auch keinen zulässt.
TdZ: Auf der Wetterkarte fällt die Lausitz oft dadurch auf, dass die schon Merkmale des Kontinentalklimas aufweist: im Winter kälter, im Sommer heißer. Lars Werner visioniert in seinem in Cottbus uraufgeführten Stück „Feinstoff“ (siehe TdZ 1/22) die Klimakatastrophe: Die Lausitz wird tropisch mit den künstlichen Seen, die ja auch ein kritisches, wenn nicht katastrophisches Thema geworden sind.
SM: Wenn das Wasser bleibt. Aus jetziger Sicht ist eher das Niedrigwasser im Spreewald durch zu wenig Regen ein Problem, das auch die Verzögerung der Schüttung des Ostsees verursacht. Aber eben: Für das Theater ist eher interessant, was das für anthropologische Konstanten oder Veränderungen mit sich bringt, wie Lars Werner auch herausgearbeitet hat: Es geht darum, den Menschen beweglich zu halten und nicht seine Sehnsucht nach Bequemlichkeit zu fördern. Das ist wirtschaftlich zwar lukrativ, aber gesellschaftlich, kulturell und erst recht künstlerisch tödlich.
TdZ: Kommen wir nochmals auf die aktuelle Kulturpolitik zurück: Was erhoffen Sie sich von dem großen Förderplan für die Lausitz? Wo müsste der in der Kultur nachhaltig ansetzen? Und speziell für die Theater? Der Kulturplan Lausitz wurde im November 2021 bei großem Bahnhof im prächtigen Cottbuser Staatstheater vorgestellt: Der Begriff „Theater“ taucht aber nicht ein einziges Mal auf. Nur die Fiktion einer „schwimmenden Seebühne“ als Event-Magnet. Vorhandene Kleinodien wie das seit Ende der Transnaturale brachliegende Landschaftstheater „Ohr“ in Boxberg kennen die Autoren offenbar nicht. Statt der Vorstellungen im actori-Gutachten müsste es eher um die Expansion der „Platzhalter“ wie Bautzen oder das Gerhart Hauptmann Theater in Zittau gehen. Hoyerswerda hat immerhin die Stadtvision seines 2. Bürgermeisters Pink: als Kulturhauptstadt des Lausitzer Seenlandes.
LH: Ich bin sehr kritisch eingestellt gegen diese Aktionen, die feigenblattartig wirken sollen und dafür strohfeuermäßig abgebrannt werden. Dieser Kulturplan Lausitz ist ja mit keinerlei Finanzierung oder mit irgendwelchen Geldmitteln untersetzt. Das ist eine reine Quatschbude gewesen. Es war gut, das will ich gar nicht in Abrede stellen, dass man sich zu diesem komplexen Thema getroffen hat, man hat auch neue Leute kennengelernt, man hat auch voneinander etwas erfahren, was man vorher nicht wusste. Das war sogar ein bisschen basisdemokratisch – aber dahinter stand nicht die Aussicht auf Umsetzung. Notwendig wäre ein Förderprogramm gewesen, für die dieser Kulturplan Lausitz die Förderbedingungen ausarbeitet. Also die Kriterien, mit denen wir dann bei diesem Förderprogramm auch Mittel beantragen können, um das Geplante am Ende auch umzusetzen. Jedoch alles, was da besprochen wurde, ist wieder auf die regionalen, kommunalen Träger zurückgeworfen worden – und so etwas geht nicht. Wir reden ja bei den Strukturmitteln über rund 30 Milliarden, und davon ist verschwindend wenig vorgesehen für konsumtive, also Projektmittel, die in die Kultur gehen. Es gibt fast ausschließlich Mittel für Investitionen, aber darum ging es bei Kulturplan Lausitz überhaupt nicht. Deswegen stehe ich dem sehr skeptisch gegenüber. Die Kulturleute wurden schlichtweg vergessen. Es war, als ob die Erwachsenen in der guten Stube sitzen, bei Zigarren und Cognac das Geld verteilen, während die Kinder rausgeschickt wurden, mit ein bisschen Spielzeug ruhiggestellt, damit sie drinnen nicht stören. So ungefähr lief der Kulturplan Lausitz ab. SM: Ich hoffe heimlich auf die hohe Sterblichkeitsrate solcher Generalpläne, denn auch da würde ich der Einschätzung von Lutz Hillmann folgen: Solange keine Mittel eingestellt sind für solche Pläne, ist dieser Plan nicht mehr wert als gut gemeint. Es ist wie meistens, Mittel stehen, wenn, dann für „Steine“ zur Verfügung, aber nicht, um diese Steine mit Leben zu füllen. Man würde viel für die Verlebendigung der Lausitz beitragen, wenn man die nach dem Kahlschlag der neunziger Jahre noch übrig gebliebenen Institutionen stärken würde, denn auch diese arbeiten meist am Existenzminimum. Das Staatstheater Cottbus zum Beispiel ist noch das einzig verbliebene Mehrspartentheater des Landes Brandenburg, aber auch das hat seit der Wende fast die Hälfte seiner Ensembles verloren. Wir sind nun aber in gutem Vernehmen mit der Landesregierung, was die äußerst prekäre Finanz- und Strukturlage des Staatstheaters angeht, das über viele, viele Jahre hinweg sträflich vernachlässigt wurde. Auch über die Coronahilfen hinweg sind wir in vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen mit der Kultusministerin Manja Schüle und der Stadt Cottbus, die um den besonderen Umstand des Cottbuser Hauses wissen und willens sind, die Zukunftsfähigkeit des Hauses zu sichern.
LH: Die Mammutaufgabe des Strukturwandels in den Lausitzen wird ohne die Einbeziehung von Kunst und Kultur, von Theater, nicht gelingen! Mit Geld allein wird man die Menschen der Region nicht mitnehmen können. Glaube an die Zukunft und Stolz auf die Heimat lässt sich nicht erkaufen. Und nach außen hin können wir helfen, Verständnis zu erzeugen, warum diese ungeheuren Summen an Bundesmitteln gerade hier notwendig sind. Denn gerade in Post-Corona-Zeiten werden die Verteilungskämpfe härter. Es ist verdammt spät, sich an uns zu erinnern, aber noch nicht zu spät! //