Dies ist eine Gespenstergeschichte. Und wie jede Gespenstergeschichte beginnt sie dort, wo man es nicht vermutet. In einem Dorf umgeben von Bergen, die Sonne schießt schräg über die Gipfel, das Wasser liegt still und schweigt. Ein Sommerabend am Hardangerfjord, dieser irren Landschaft, halb Meer, halb Gebirge, unergründlich alt und zum Verrücktwerden schön. Drinnen, im Gemeindehaus, ist das Sprechen nur mehr ein Murmeln. Dann verstummt es ganz, und wir sitzen im Finstern da. In einer Dunkelheit, die den Nächten in Norwegen in den Sommermonaten fehlt. Einer Dunkelheit, die außerhalb des Lebens liegt.
„Schreiben ist eine Überschreitung“, sagt Jon Fosse. Es überschreite nicht nur die persönliche Bestimmung im Leben. Es überschreite das Leben selbst – in Richtung jenes Ortes, „der dem Tod ein bisschen ähnelt“. Auch in „Meer“ kommt er diesem Ort gefährlich nah. Es ist ein Stück für Stimmen ohne Körper, Sprecher ohne Sprechende, das hier in Strandebarm, einem Spielort der Festspiele Bergen, gezeigt wird. „Ich bin der Kapitän“, sagt da jemand – ohne dass wir ihn sehen. „Wer bist du?“, fragt ein anderer durch das Dunkel. Erst nach und nach schälen sich die Figuren aus der Finsternis heraus, Der Kapitän, Der Gitarrenspieler, Charaktere, die auch schon durch frühere Fosse-Stücke geisterten,...