Die Macht audiovisueller Mediatisierung
„Filmisierung“ von Theater
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Assoziationen: Theatergeschichte Dossier: Bühne & Film
Filmische Gestaltungsweisen produktiv verarbeitend, erwies sich Theater als enorm kreativ.167 Im Wettbewerb mit der außerordentlichen Popularität des Films benutzte das indische literaturbasierte populäre Nautanki, das sich spätestens im 19. Jahrhundert gebildet hatte, Filmmusik statt seiner eigenen traditionellen Melodien und Rhythmen. Statt des einfachen Podiums, das die Zuschauer von allen Seiten einsehen konnten, verlegte man Aufführungen auf die nur frontal einsehbare Bildbühne und versuchte mit Hintergrundprospekten und dem von leichten Vorhängen verdeckten raschen Szenenwechsel bildlich genau, gleichsam „natural“ dem Film ähnlich die episch ausladenden Geschichten darzustellen.168
Für das europäische Theater schien der Film Lösungen für das Problem anzubieten, das Hintergründe, Erscheinungsbilder und zeitliche Abläufe wesentlicher soziokultureller und politisch-ökonomischer Vorgänge des äußerst komplex gewordenen Gesellschaftsgefüges adäquat, gleichsam der Sache gemäß „realistisch“ darzubieten, ein Problem, das Goethes und Schillers Versuche, Wesen und Möglichkeiten des Epischen und Dramatischen zu bestimmen, wohl erstmalig reflektierten und Peter Szondi dann als Ausbruch des europäischen Dramas ins Epische bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts skizzierte.169 Lion Feuchtwangers Stück THOMAS WENDT über die neuen Realitäten seit dem Weltkrieg wurde so 1918 ein „dramatischer Roman, denn „ein Weltbild soll gegeben sein, nicht ein Einzelschicksal bloß, ein Zeitbild zumindest, Untergründe, Unterströmungen, Belichtungen von...