Silvia Brendenal: Zwischen Ost und West im Ich
Unterricht in der Dorfschule: Ich bin in der 1. Klasse, verlasse schnell den für vier Klassen einzigen Klassenraum, denn ich weiß, mein Hund wartet auf mich vor der Schule. Doch auch diesmal schaffen wir es nicht, uns ungeschoren davon zu stehlen. Schon treibt uns die Rotte der deutschen Bauernsöhne durchs Dorf. Mich, die „Polackengöre“, und ihren „Köter“. Meine Kindheit in diesem Dorf fand im Verborgenen statt, in der ständigen Angst davor, entdeckt und gejagt zu werden.
Heute lebe ich in Mecklenburg-Vorpommern. Bin Patin einer geflohenen syrischen Familie. Und wieder bin ich ständig auf der Hut, denn ich kenne die Blicke und Gesten, die uns im Supermarkt, auf der Straße, selbst in meinem 30-Seelen-Dorf begegnen.
Dazwischen liegen Jahre der menschlichen und beruflichen Begegnungen mit dem, was gemeinhin unter Deutsch-Sein verstanden wird und dem, was ich für mich als Tugenden und Nicht-Tugenden des Deutsch-Seins entdeckte.
Sozialisiert in der DDR, ausgebildet durch das Bildungswesen dieses Landes, geprägt vom propagierten Kollektivgeist, hatte ich im Puppentheater der DDR meine künstlerische Heimat gefunden. Erlebte, wie sich eine bis dato kulturpolitisch nicht anerkannte Theaterform künstlerisch und gesellschaftlich etablierte, und meine individuelle Entwicklung wie die vieler KollegInnen ging einher mit...