Theater der Zeit

Auftritt

Staatstheater Darmstadt: I am a butchposition

„BUTCHPOSITION. Installative Performance von Hoffmann/Jang/Friebe/Ying /Eine Auseinandersetzung mit einem Text von Leslie Feinberg“ (UA) – Regie Sascha Malina Hoffmann, Bühne und Kostüme Yue Ying, Video Seongji Jang, Dramtaturgie Marci Hilma Friebe

von Yaël Koutouan

Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Dossier: Queeres Theater Sascha Malina Hoffmann Staatstheater Darmstadt

Mona Kloos, Stefan Schuster, Jasha Eliah Deppe in „BUTCHPOSITION“ am Staatstheater Darmstadt. Foto Sinah Osner
Mona Kloos, Stefan Schuster, Jasha Eliah Deppe in „BUTCHPOSITION“ am Staatstheater DarmstadtFoto: Sinah Osner

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„Rhythm is a dancer, rhythm is a butch, you are a BUTCHPOSITION!“ So beginnt die Performance mit Mona Kloos, Stefan Schuster und Jasha Eliah Deppe, die einander zugewandt, hinter einem Vorhang aus silbernen Schnüren wie Moderator:innen einer Radioshow an drei Mikrofonen stehen und das Publikum mit diesem Jingle willkommen heißen. „BUTCHPOSITION“ ist eine installative Performance, die die Zuschauenden dazu einlädt, sich aus ihrer beobachtenden Position zu lösen, sich im Raum zu bewegen. „BUTCHPOSITION“ befragt, erinnert und träumt Geschlecht in seiner Komplexität und sozialpolitischen Verstrickung und öffnet so einen schwellenarmen Raum, der Zeit und Platz für die Befragung der eigenen Position lässt. Ein vielversprechender Auftakt für die Spielzeit 24/25 unter der neuen Schauspieldirektion Alexander Kohlmann. Der promovierte Medienwissenschaftler und Dramaturg folgt auf Oliver Brunner, der an das Stadttheater Ingolstadt wechselt. Kohlmann beginnt auf ausdrückliche Empfehlung des Intendanten Karsten Wiegand. Zuwachs erhält das Darmstädter-Team ebenfalls mit dem Dramaturgen Marlon Tarnow, der sowohl mit Kohlmann als auch mit der Dramaturgin Deborah Raulin bereits Projekte realisiert hat. So verspricht der Personalwechsel auch ein Wiederanknüpfen und ein Weiterdenken an Visionen für ein Theater der Gegenwart.

In den Kammerspielen des Theaters Darmstadt ist das Licht gedimmt. Ich betrete den Raum und sehe mehrere Sitzgelegenheiten: mehrstufige Tribünen und eine weiße Bank ohne Lehne, die mitten im Raum steht. Mir werden Kopfhörer gereicht, über die ich während der fast zweistündigen Performance Erzählungen, Szenenbeschreibungen und Musik höre. Auch aus Leslie Feinbergs (1949–2014) Roman Stone Butch Blues, der 1993 veröffentlicht wurde, ein Meilenstein der LGBTQIA+ Bewegung darstellt und als Klassiker der queeren Literatur gilt, wird vorgelesen. Der Roman zeigt die Komplexität queerer Lebensrealitäten zwischen Buffalo und New York City in den 1960er bis 1980er Jahren, trug seit seinem Erscheinen zu einer vermehrten Sichtbarkeit von trans* Stimmen in Gesellschaft und Wissenschaft bei und ist Grundlagentext der Performance.

„Ich schaue auf meine Hände. Ich wünschte, sie würden zu einem anderen Körper gehören.“ Zu bestimmten Zeitpunkten in der Aufführung darf ich einen der drei Kanäle der Kopfhörer (rot, blau und grün) wählen oder zwischen diesen hin- und herspringen. Vor Beginn der Aufführung haben die Besucher:innen die Möglichkeit, einen QR-Code zu scannen und an einer kleinen Umfrage teilzunehmen. Die Ergebnisse der drei Fragen werden uns während der Performance mitgeteilt. So wussten etwa zwanzig Prozent der Befragten nicht, was das Wort „butch“ bedeutet. Die Definition folgt gleich zu Beginn der Performance: „Butch“ beschreibe einen (betont) maskulinen Geschlechtsausdruck und/oder eine Geschlechtsidentität.

Meine Kopfhörer leuchten auf, ich habe mich für Option drei entschieden: das „Lesbian Home Movie Project (LHMP)“. Ich höre Szenenbeschreibungen eines Privatfilms von Ruth Stone, während auf eine Wand auf der rechten Seite des Bühnenraums Szenen des Films wie mit Bleistift gezeichnet gezeigt werden (Video Seongji Jang). Dieser Film von 1938 zeigt die New Yorker Lehrerin Ruth Storm (1888–1981) und eine Freundin an der Küste von Maine. Es sind ruhige, verträumte und intime Aufnahmen einer lesbischen Begegnung. Storm hat von Mitte der 1930er bis Mitte der 1960er Jahre ihr Leben gefilmt, meist auf 16-mm-Film. Diese Sequenz stammt aus den Archiven des „Lesbian Home Movie Project (LHMP)“ in Maine, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Filme, die von lesbischen Menschen gedreht wurden oder diese zeigen, zu suchen, zu bewahren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

„BUTCHPOSITION“ ist aber mehr als ein bloßes Aneinanderreihen von Geschichte(n). Die Inszenierung verbindet Radioshow, musicaleske Tanzeinlagen und wissenschaftliche Definitionen zu einem ästhetisch wie inhaltlich abwechslungsreichen, bewegenden und bereichernden Abend (Regie Sascha Malina Hoffmann). Die multimediale Überlappung von Buchzitaten, historischen Erzählungen, Video und Musik erzeugt eine queere Zeitlichkeit (Dramaturgie Marci Hilma Friebe), die heteronormativen Logiken entsagt und Brüche zulässt. Sie hat nicht den Anspruch, linear zu sein oder sich gemessen an patriarchalen oder kapitalistischen Normen logisch aufzubauen, es geht vielmehr um die Fragmente, um das verkörperte Wissen und die Körper selbst. Ein wiederkehrendes Thema ist auch die Frage des Archivierens von Wissen, so entsteht in der Performance zwischen Zuschauer:innen und Performer:innen selbst eine Art Wissensraum, ein lebendiges Archiv.

In der Mitte der Performance verwandelt sich der Bühnenraum in eine Bar, ein „Barchive“, in dem Ingwershots getrunken und Archivalien ausgeliehen werden können (Bühne und Kostüm Yue Ying). Die Umfrage zeigt, dass 80 Prozent der Teilnehmenden noch nie in einer queeren Bar waren. Ich erhalte eine Menükarte und entscheide mich auf eine Empfehlung des Bar-Personals hin für die Nummer sieben. Zwei weitere Personen und ich bilden eine Gruppe. Unsere Aufgabe ist es, uns einander vorzustellen, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu entscheiden, wann die Performance fortgeführt werden soll. Während wir warten, beobachte ich das Publikum, das sich in kleinen Gruppen im Aufführungsraum verteilt und verschieden große Pappschachteln auspackt. Auf den Deckeln der Schachteln sind Symbole zu sehen, die ich im Laufe der Aufführung wiedererkenne: Sie hängen in Plastikform von der Bühnendecke oder werden als Illustrationen auf die Wand projiziert. Es handelt sich unter anderem um Karabinerhaken, Streichhölzer, Käppis, Feuerzeuge und Östrogengel. Alle Symbole erkenne ich nicht. Bei einigen ist mir der Zusammenhang zu queeren Lebensrealitäten sofort klar, bei anderen bin ich mir unsicher. Was hat es mit dem Karabinerhaken auf sich? Tatsächlich gelten sie als ein selbstermächtigendes Symbol der lesbischen Community, das als Accessoire sowohl Zugehörigkeit bedeutet als auch als Abweisung des männlich-heterosexuellen Blicks gelesen werden kann.

Queere Bars werden von den Performer:innen als historisch bedeutende Orte und Schutzräume eingeordnet, wo queere Personen Geschichte(n) miteinander teilen, sich verbünden und über das eigene Leben sprechen. Etwas, das auch dieser Abend ermöglichen soll. So zeigt „BUTCHPOSITION“, wie wichtig Räume der Begegnung sind, die die eigene Selbsterzählung in ihrer Fragilität, in ihrem Werden und ihrem Sein anerkennen, in dem er selbst einer wird – denn Erinnern bedeutet auch immer ein sich mit sich selbst und anderen in Beziehung setzen. I am a butchposition.

Erschienen am 10.10.2024

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