Theater der Zeit

Kolumne

Na, wieder nüchtern?

Wie der Regisseur Visar Morina von der Einsamkeit erzählt

Erschienen in: Theater der Zeit: Vorwärts immer, rückwärts nimmer – Schwerpunkt Klassismus (02/2021)

Assoziationen: Debatte Deutsches Theater (Berlin) Münchner Kammerspiele Volksbühne Berlin

Kolumnistenfoto: Ralph Hammerthaler
Kolumnistenfoto: Ralph Hammerthaler

Applaus tut gut, aber nicht immer. Die demütigendste Art des Applaudierens habe ich in Visar Morinas Film „Exil“ gesehen, als der Beifall von Kollegen über den aus Kosovo stammenden Ingenieur Xhafer niedergeht. Seit einiger Zeit schon hat Xhafer den Eindruck, dass in der Firma alles gegen ihn läuft, ja, dass er gemobbt wird. Woher kommen Sie, aus Kroatien?, fragen sie immer wieder. Und auch der Chef fragt ihn danach, ehe er seine selbstgefällig weltläufige Rede mit einer Pointe versieht. Die Pointe heißt Xhafer. Darauf klatschen sie alle, ganz so, als würden sie ihn trocken schnalzend auspeitschen.

Geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen wirklich gut? Nach und nach befallen Xhafer Zweifel. Einmal, auf einem Filmfestival, sagt Visar, hat ein mächtiger Fernsehmensch einen Schauspieler mit den Worten begrüßt: Na, wieder nüchtern? Der Schauspieler wusste nicht, was das sollte. Und jetzt stell dir vor, du würdest dasselbe dreimal am Tag gefragt. Na, wieder nüchtern? Da würdest auch du anfangen zu zweifeln, und zwar an dir selbst.

Eigentlich wollte ich Visar zu einem Spaziergang überreden. Weil sich so das Gespräch von selbst ergeben hätte. Aber dann stellte sich heraus, dass er bereits in München war, um in den Kammerspielen die Uraufführung von „Flüstern...

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