Landvermessung: der Osten
364 Tage
Mit ehrgeizigem Anspruch positionieren sich die Landesbühnen Sachsen in Radebeul nach der Privatisierung neu
von Michael Bartsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Wölfin im Schafspelz – Die Schauspielerin Constanze Becker (05/2013)
Assoziationen: Thüringen Sachsen-Anhalt Sachsen Akteure Landesbühnen Sachsen
Hauptprobe zu „Leonce und Lena“ auf der Albrechtsburg zu Meißen. Intendant Manuel Schöbel führt selbst Regie und folgt Büchner mit einem amüsanten, aber pointierten Kammertheater. Wenn die maximal 70 Zuschauer den Spielern von Bild zu Bild in neue Räume folgen müssen, erscheint dieses Wandeltheater wie ein Abbild des intensivierten Konzepts der Landesbühnen Sachsen. Wandertheater waren die Landesbühnen mit Sitz in Radebeul bei Dresden ihrem Selbstverständnis nach schon immer. Unter dem Druck der komplizierteren Bedingungen in der privaten Rechtsform aber versucht das Haus, sich mit allen erdenklichen Formaten und an allen erdenklichen Orten unentbehrlich zu machen. So ist die Albrechtsburg nur eine von mehreren Burgen und Schlössern in Sachsen, die man sich mit der Reihe „Theater im feudalen Raum“ neu erschlossen hat.
Mit der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2011/12 wurde auch eine Privatisierung der Landesbühnen Sachsen beschlossen. Die Regierungsfraktionen von CDU und FDP setzten damit eine seit mehr als einem Jahrzehnt im Finanzministerium gärende Absicht um. Am 1. August 2012 wurde zugleich das Landesbühnen- Orchester ausgegliedert und bei mittelfristigem Stellenabbau mit der Neuen Elbland Philharmonie Riesa vereinigt. Deren Leistungen kauft die Landesbühne nunmehr für das Musiktheater ein. Seine Sparziele erreicht der Freistaat Sachsen vorläufig aber nur bedingt. Er ist alleiniger Gesellschafter der neuen Theater-GmbH und schießt pro Spielzeit 11,65 Millionen Euro zu, etwas weniger als bisher. „Schadlos“ hält sich das Land an den Kulturräumen, von deren Landeszuschuss drei Millionen Euro abgezweigt wurden. Dafür sollen die Landesbühnen nun intensiver im ganzen Land reisen und vor allem weiße Flecken in Kulturräumen bespielen, die über kein eigenes Theater verfügen.
Mit dem 52-jährigen Manuel Schöbel kam ein erfahrener Theatermann als Intendant an die Landesbühnen. Einen Namen hat er sich früh als Autor im Kinder- und Jugendtheater gemacht, zuletzt war er fünf Jahre Intendant in Freiberg-Döbeln. Im Ensemble gilt er als Workaholic, gelegentlich als autoritär, aber auch als ein Chef, mit dem man reden kann. Nicht lamentieren: anpacken!, so wirkt er nach außen. Die Aufgabe einer Neuetablierung verlangt einen solchen Typ.
Ein Tempo, bei dem manchem die Luft ausgeht. „Der Künstler in seiner Zeit“ sei das Motto dieser ersten Spielzeit mit dem „neuen Gesicht“, erklärt Schöbel. Es könnte ebenso lauten: „Der Künstler in Zeitnot“, denn die Belastungen sind für alle hoch. Der Chor vielleicht ausgenommen, weil die Zahl der großen Musiktheateraufführungen zumindest gefühlt zurückgegangen ist. „Theater ist ein Geben und Nehmen“, sagt der Schauspieler Tom Hantschel und betont hörbar das Erstere. Ansonsten aber findet Hantschel die GmbH-Rechtsform sogar gut, weil Überschüsse am Haus verbleiben können. Und tariflich hat das Ensemble auch nichts eingebüßt. Knapp zwei Monate nach der Privatisierung ist doch noch ein Personalüberleitungsvertrag mit dem Freistaat geschlossen worden.
„Die negative Erwartungshaltung brechen!“, verkündet Manuel Schöbel seine ehrgeizige Devise und will „Volkstheater für alle Schichten und Spielorte“ machen. Der Spielplan ist so bunt wie nie zuvor und bietet in den drei Sparten beeindruckende 24 Premieren. An neue Spielorte wie Böhlen oder Schloss Hubertusburg wird man sich schnell gewöhnen. Die Stadttheaterfunktion am Stammsitz soll nicht leiden, zumal Radebeul jetzt jährlich 400 000 Euro beisteuert. Auffälligste Neuerung ist das von Klaus- Peter Fischer geleitete Junge Studio. Und im Mai beginnt wie gewohnt auch noch die Saison auf der Felsenbühne Rathen. Der Trend jedoch geht hin zu kleinen, mobilen Formaten.
Das schlaucht. Insbesondere bei den Musikern der fusionierten Elbland Philharmonie Sachsen mit ihrer Doppelbelastung von Konzert- und Musiktheaterbetrieb sorgt man sich um Qualität. „Eine einzige Durchlaufprobe vor Wiederaufnahmen, und das mit den Opern-unerfahrenen Kollegen aus Riesa“, seufzen bisherige Landesbühnen-Musiker. Besetzungen müssen häufig wechseln. Auch beim technischen Personal hört man von knappen Probenzeiten und improvisierten Probenplänen. Dafür ist die Ausrüstung modernisiert worden. Probleme einer Bewährungsspielzeit eben und Folge des ehrgeizigen Anspruchs, „364 Tage im Jahr zu spielen“, wie Manuel Schöbel postuliert. //