Theater der Zeit

Auftritt

Düsseldorf: „Star Trek“ auf Valium

Düsseldorfer Schauspielhaus: „Rückkehr zu den Sternen (Weltraumoper)“ von Bonn Park und Ben Roessler (UA). Regie Bonn Park, Bühne Julia Nussbaumer, Jana Wassong

von Stefan Keim

Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)

Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Düsseldorfer Schauspielhaus

Theatertherapie aus der Zukunft: Thomas Wittmann, Lioba Kippe, Lea Ruckpaul, Florian Claudius Steffens in der Inszenierung von „Rückkehr zu den Sternen (Weltaumoper)“, Text und Regie von Bonn Park, Musik von Ben Roessler am Düsseldorfer Schauspielhaus. Foto Thomas Rabsch
Theatertherapie aus der Zukunft: Thomas Wittmann, Lioba Kippe, Lea Ruckpaul, Florian Claudius Steffens in der Inszenierung von „Rückkehr zu den Sternen (Weltaumoper)“, Text und Regie von Bonn Park, Musik von Ben Roessler am Düsseldorfer Schauspielhaus.Foto: Thomas Rabsch

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Die Phaser der Sternenflotte haben zwei Einstellungen. Man kann mit ihnen den Gegner töten oder betäuben. In „Rückkehr zu den Sternen (Weltraumoper)“ stellen Captain Jean Luc Yešilyurt und seine Mannschaft die Waffen auf „harmlos“. Bloß niemanden verletzen, lautet ihre Devise. Autor und Regisseur Bonn Park hat das „Star Trek“-Universum für eine positive Zukunftsvision geplündert, Streichelfiktion statt Science-Fiction. Theater zum Kuscheln in schweren Zeiten.

Am Anfang des Stücks muss die Besatzung des Raumschiffs Wassong noch einen Angriff überstehen. Alle taumeln über die Bühne wie es Captain Kirk, Mr. Spock und die anderen Helden in der ersten „Star Trek“-Serie aus den sechziger Jahren taten. Die Bühne von Julia Nussbaumer und Jana Wassong ist wie die Kostüme von Leonie Falke eine liebevolle Hommage an die ersten beiden Fernsehreihen um die Raumschiffe, die den Namen Enterprise trugen. Die Action wird stark stilisiert, das Ensemble singt die Texte, Tänzerinnen bewegen sich im genau choreografierten Gleichschritt. Auf Spannung kommt es Bonn Park überhaupt nicht an. Ihn interessiert die Philosophie der Sternenflotte – oder im Stück der „Zauberflotte“ –, eine humanistische Welt, in der Kapitalismus und Rassismus überwunden sind. Das Raumschiff ist das Gleichnis einer aufgeklärten und toleranten Gesellschaft.

Eine Mission mit Konflikten muss es natürlich geben. Das Raumschiff wurde von einem Eisplaneten angezogen. Als die Offiziere auf die Oberfläche des Planeten beamen, treffen sie Wesen, die nur bis zu einem bestimmten Punkt altern. Dann läuft der Prozess rückwärts, bis sie als Babys sterben. Diese natürliche Ordnung ist zerstört. Die Wesen altern und empfinden das als Fluch. Die erste Offizierin der U.S.S. Wassong (Lea Ruckpaul) gehört zu ihnen und sehnt sich nach dem Tod. Das stellt den Captain (Serkan Kaya) vor ein Dilemma. Er ist für seine Besatzung verantwortlich und fühlt sich zu seiner „Nummer 1“ besonders hingezogen. Aber die Achtung einer fremden Kultur ist die erste Direktive der Zauberflotte.

Diesen Widerstreit treiben Stück und Inszenierung keinesfalls auf die Spitze. Bonn Park zeigt vielmehr, wie vernünftige Menschen an so ein Problem herangehen und offen diskutierend zu einer Lösung kommen. Nur ein Mal rastet Wissenschaftsoffizierin Melitta (Rosa Enskat) aus und beschimpft alle, die gerade um sie herumstehen. Eigentlich hat sie keine Gefühle, sie ist ein Android – wie Data in der Serie „Star Trek – The Next Generation“. Der Bordarzt experimentiert mit ihr und lässt sie Gefühle aus dem 21. Jahrhundert empfinden. Der Versuch führt fast in die Katastrophe und wird schnell abgebrochen.

Ben Roessler hat die Musik während der Probenphase komponiert – wie auch Bonn Park bei der gemeinsamen Arbeit seinen Text entwickelt hat. Gleich zu Beginn spielt das Orchester aus Studierenden der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf die berühmte Star-Trek-Fanfare von Alexander Courage in verfremdeter Form, aber deutlich erkennbar. Opernhaft wirken manche Ensembles, doch meistens dominieren harmonisch-kitschige Musicalmelodien. Das passt zum friedlich-braven Gestus dieser Aufführung.

Es ist leicht, die Schwächen des Stücks zu benennen. Handlung und Dialoge sind ziemlich banal, einige wenige Gags versanden in der Nettigkeit. Das Ensemble gewinnt kein besonderes Profil, alle erfüllen vorhersehbar und professionell ihre Aufgaben. Aber Bonn Parks Inszenierung beeindruckt durch die stilistische Konsequenz. Und das Stück ist ein Wagnis. Naivität und Freundlichkeit gehören nicht gerade zu den angesagten Stimmungslagen auf deutschsprachigen Bühnen. Am Ende tritt Kilian Ponert als Bordarzt und Chefingenieur vor den roten Vorhang und wendet sich direkt ans Publikum. „Sorgen Sie sich nicht“, sagt er, „es wird alles gut.“ Er weiß das, weil er aus der Zukunft kommt. Wir werden alle Virusvarianten und den Angriffskrieg überleben. Garantiert. Wenn wir freundlich bleiben, kann uns nichts passieren. Über diese Art Theatertherapie mit „Star Trek“ auf Valium kann man schmunzeln und sich sanft gelangweilt fühlen. Und doch hat die Aufführung etwas Sympathisches. Mehr noch, etwas Liebenswertes. //

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