Gespräch
Was macht das Theater, Florentina Holzinger?
von Thomas Irmer und Florentina Holzinger
Erschienen in: Theater der Zeit: Publikumskrise (11/2022)
Assoziationen: Berlin Österreich Akteure Dossier: Was macht das Theater...? Volksbühne Berlin

Ihnen ist mit „Ophelia’s Got Talent“ gerade die bislang größte Produktion an der Berliner Volksbühne gelungen. Das Publikum ist euphorisch, wie man es seit Jahren an diesem Haus nicht mehr erlebt hat.
„Divine Comedy“ war eigentlich größer, aber im Aufwand sind beide etwa gleich. Mit der Volksbühne zum ersten Mal so etwas rauszuhauen, war sehr anspruchsvoll. Dass wir jetzt einen fast dreistündigen Abend haben, ist nicht dadurch entstanden, weil ich gern so lange Sachen mache. Ich selbst bin an Netflix geschult und kann mich nicht länger als anderthalb Stunden konzentrieren. Aber es war sehr lange ein Wunschprojekt von mir, und diese Dimension mit dem Wasser inspirierend. Die Bucketlist an Dingen, die wir machen wollten, war riesig. Es fiel uns sehr leicht, Material zu kreieren, da hat sich einfach so viel aufgedrängt – und es gab dann auch nicht diesen Kill-your-darlings-Prozess am Ende.
Mythologische und literarische Frauenfiguren, die aus dem Wasser kommen oder in ihm enden, werden zu einer Erzählung in Variationen. Sogar auf einem Programmzettel übersichtlich erklärt.
Ich mag das. Dann muss ich es den Leuten nicht auf der Bühne erklären. Es ist einfach eine Referenz für Leute, die das interessiert. Die können sich da reinlesen. Das ist jetzt nicht zwangsläufig, dass man das vorher studieren muss. Vieles ist sogar bis in die Popkultur hinein bekannt. Uns geht es um die Neuinterpretation dieser Geschichten auf der Bühne. Das Glossar könnte natürlich auch ein ganzes Buch in sich selber sein.
Von einem Wasserwesen zur Apnoetaucherin, das ist schon ein gewaltiger Sprung. Wie kommen Sie auf solche Ideen?
Das ist für mich nicht so ein gewaltiger Sprung, sondern naheliegend. Ich sehe ja Sachen als physisches Experiment oder Übung. Da ging es zuerst einmal darum: Wie übt man, eine Ophelia zu sein. Und wofür kann das sogar gut sein, sich an diesem Bild abzuarbeiten und zu schulen, als Empowerment? Der Umgang mit Wasser war für uns Künstlerinnen durchweg spannend, als Substanz – im Gegensatz zur Luft, in der wir immer sind. Wasser als neuer Lebensraum, bis hin zu Fantasy und Science Fiction. Auch als Spiel mit der Supernatürlichkeit: How to become more than human as a dancer. Apnoe ist für mich Hyperfunktionalität des Körpers.
Ein anderes Motiv Ihrer neueren Arbeiten ist die Verbindung von weiblichem Begehren mit Maschinen der Mobilität. Motorrad, Auto, jetzt ein echter Hubschrauber, der ja als Luftmaschine praktisch einen Gegensatz zur Wasserwelt darstellt. Wo haben Sie den eigentlich her?
Der kommt aus der Steiermark von einem Helikoptersammler, der dieses Vintage-Modell nach einem Unfall bei sich rumstehen hatte. Ein Helikopter war natürlich ganz oben auf meiner Wunschliste. Der ist ja schon als Ding Katastrophenszenario, Rettung und Machomaschine.
Da kommt noch einmal Julia Ducornaus Cannes-prämierter Film „Titane“ ins Spiel …
Ja, diese Referenz wird mir zu allen meinen Shows immer wieder angeboten. Für mich geht es aber ein bisschen anders um eine Hybridisierung des weiblichen Körpers und die Verschmelzung mit dieser Technik, mit der wir sowieso umgeben sind. Bei „Ophelia“ wird das Begehren dieser Maschine gezeigt, aber wir reißen sie ja quasi in den Tod. Für die Entwicklung der Szene sind wir übrigens sogar zu einem Schulungszentrum in Bremerhaven gefahren, wo Hubschrauber-Rettungsaktionen für Bohrinseln in der Nordsee trainiert werden. Da ist bei schwerer See nicht mehr viel möglich, und selbst der Hubschrauber kann mit draufgehen.
Einige Kritiker:innen sagen nun nach „Ophelia“: Mehr geht nicht, das kann man nicht mehr steigern.
Das bezweifele ich. Außerhalb des Theaters geht auf jeden Fall noch mehr. Wir haben auch was mit fliegenden Helikoptern in Planung. Da geht noch einiges. Nicht im Sinne von größer, teurer, pompöser. Wir haben noch irrsinnig viele Dinge auf der Liste, die wir gerne ausprobieren wollen. Ums Steigern geht’s aber nicht.
Schon auf der Akademie, als die Dinge noch sehr einfach waren, habe ich immer versucht, die Grenzen zu sprengen, und damit Leute zur Verzweiflung gebracht. Selbst bei Minibudgets habe ich versucht, mit komplizierten technischen Setups zu arbeiten. Das war ein Lernprozess. Und so ist mit den Jahren ein Team entstanden, mit dem Sachen möglich werden, die trotzdem nicht hirnrissig oder suizidal sind und wobei sich alle gut fühlen können. Bei dieser letzten Arbeit war alles extrem gut vorbereitet und abgeklärt. Und mit diesen jahrelangen Erfahrungen sind wir in die Volksbühne gegangen.
Bleibt es weiter bei nur Frauen auf der Bühne?
Das Geschlechterthema habe ich inzwischen leid, diese Frauenschublade. Wir versuchen ja gerade, Geschlechterklischees zu sprengen. Mir ist es eigentlich egal, welches Geschlecht mit mir auf der Bühne ist. Mir geht es darum, wie Themen durch eine bestimmte Art von Körpern repräsentiert werden. Wir haben ja auch Kinder auf der Bühne, die nächste Generation, die vielleicht jenseits von rein binären Geschlechterdefinitionen heranwächst. //