Kommentar
Falsches Bekennertum
von Lena Gorelik
Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)
Assoziationen: Europa Debatte Dossier: Ukraine
Dostojewski und Putin haben sich nie kennengelernt, sich nie die Hand geschüttelt, sich nicht ausgetauscht über Politik, Kriege oder Literatur. Ein klarer Fakt, der gerade dennoch erwähnenswert erscheint. Nämlich, wenn eine Mailänder Universität überlegt, Dostojewski vom Lehrplan zu nehmen, aus dem einzigen Grund: Er ist ein Russe. Und was russisch ist, scheint dieser Tage, in denen Putin einen Krieg gegen die Ukraine führt, in denen ein Autokrat nicht nur ein anderes Land angreift, sondern auch mit aller Meinungsfreiheit zerstörenden Gesetzen um sich wirft, per se verdächtig zu sein. Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Valery Gergiev wurde in einem öffentlichkeitswirksamen Prozess entlassen, der Opernsängerin Anna Netrebko wurden zahlreiche Auftritte abgesagt. Nun kann man Gergiev zu Recht vorwerfen, er habe sich schon häufig als Putin-Sympathisant gezeigt und die Krim-Annexion gutgeheißen, aber was ist mit dem russischen Pianisten Alexander Malofeev, der im Gegensatz dazu öffentlich den Krieg gegen die Ukraine verdammte und dessen Auftritte beim Montreal Symphony Orchestra dennoch abgesagt wurden?
Beinahe scheint es einen Wettbewerb zu geben, wenn es um die Ausladung russischer Künstler:innen geht; hier, seht her, wir setzen ein Zeichen, dass wir auf der richtigen Seite sind. Als würde man mit diesen Ausladungen tatsächlich Ukrainer:innen helfen. Als realpolitische Sanktion ist...