Theater der Zeit

Auftritt

Berlin: Sayonara!

Maxim Gorki Theater: „Rabatt“ von Nora Abdel-Maksoud (UA). Regie Nora Abdel-Maksoud, Bühne Moïra Gilliéron, Kostüme Katharina Faltner

von Theresa Schütz

Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)

Assoziationen: Sprechtheater Berlin Theaterkritiken Maxim Gorki Theater

Temporeich vorgetragenes Schauspielertheater: Falilou Seck, Niels Bormann, Orit Nahmias, Aysima Ergün in „Rabatt“ am Maxim Gorki Theater. Foto Lutz Knospe
Temporeich vorgetragenes Schauspielertheater: Falilou Seck, Niels Bormann, Orit Nahmias, Aysima Ergün in „Rabatt“ am Maxim Gorki Theater.Foto: Lutz Knospe

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Nun ist Autorin und Regisseurin Nora Abdel-Maksoud also auch im Maxim Gorki Theater, in dem sie mit Beginn der Intendanz von Shermin Langhoff als Schauspielerin engagiert war und 2017 bis 2018 ihre Stücke „Making of“ und „The Sequel“ im Studiozur Uraufführung brachte, auf der großen Bühne angekommen! „Rabatt“ heißt ihr jüngster Streich, der sich inhaltlich wie ästhetisch nahtlos in ihr Schaffen einreiht.

Zunächst zum Plot: Lieferando-Fahrer Davide erleidet bei einer Sushi-Auslieferung an die geldliebende Journalistin Dena und ihre Assistentin Luigi einen Herzanfall und stirbt. Beim Abtransport der Leiche gerät auch Denas privater Safe in Form eines Kissens in die Hände des Bestattungsunternehmens. „Undertaker“ Dirk und sein Bruder, Verwalter Anselm, sind Discountbestatter im Vorort-„Valley“: Sie bestatten vornehmlich Menschen aus dem Niedriglohnsektor wie Davide, bei denen ad hoc keine Angehörigen ausfindig gemacht werden können. Und dies tun sie unerschrocken effizient: ungewaschen, nackt, ohne lange Kühlung, ohne Urne – nur eine Aschekapsel in einem Abflussrohr. Als Dena ihr Kissen zurückfordert, verlangt Dirk im Gegenzug einen Artikel zur Rehabilitierung seines Rufs. Unterdessen versucht der Geist des toten Davide, Dena mittels Bowie-Referenzen und Bourdieu-Lektionen den gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang einer auf Ungleichheit und Ausbeutung basierenden Welt aufzuzeigen, für die die Erzählung einer „Leistungsgesellschaft“ blanker Hohn ist. Just als Dena geläutert ihre Geldgier zugunsten einer würdevollen Beerdigung Davides zu Grabe tragen will, folgt der Plot-Twist: Eigentlich ist Dena die todgeweihte Lieferando-Fahrerin, die sich alles nur ausgedacht hat.

Das Ganze muss man sich nun in Abdel-Maksoud-Manier als extrem temporeich vorgetragenes Schauspielertheater vorstellen. Im Gegensatz zu ihren frühen Stücken/Inszenierungen wird in „Rabatt“ nur noch sehr wenig szenisch aufgelöst. Die meiste Zeit stehen die Darstellenden in Zweierkonstellationen im himmelblauen Bühnenkasten, der sich mit Szenenwechsel zum Valley perspektivisch in die Bühnentiefe öffnet. Sie erschnipsen sich das Licht des Verfolgers und damit Aufmerksamkeit. Dabei bekommt die Spielweise etwas stark Moderierendes, auch Posierendes, das sich leider rasch erschöpft.

Zum einen paart Abdel-Maksoud Kritik am Niedriglohnsektor mit Kritik an einer auch hierzulande üblichen „ordnungsbehördlichen Bestattungspraxis“, wie sie zuletzt u. a. von Klassismusforscherin Francis Seeck untersucht wurde. Diese Praxis wird mit der würdelosen Kapsel-Idee der als Ganoven inszenierten Valley-Repräsentanten (gespielt von Niels Bormann und Falilou Seck) noch pervertiert. Zum anderen wird mit Dena (Orit Nahmias) eine Vertreterin einer privilegierten Berlin-Bubble aus dem Medienbereich porträtiert, die beständig zwischen englisch und deutsch wechselt, nur guten Gin trinkt, Taxi dem „Assischlauch“ U8 vorzieht und ihre Werte verkauft, wenn sie in Talkshows und Büchern über „verengte Meinungskorridore“ wettert und für rassistische Äußerungen beklatscht wird. Eine typische Abdel-Maksoud’sche Antiheldin.

Nun stellt sich allerdings die Frage, ob Theater, ob ein kurzweiliger 80-Minüter wie „Rabatt“ heute überhaupt (noch) zur Kritik taugt. Nachdem sich die Aufführung der Darstellung von Denas „Lüge“ gewidmet hat, endet sie mit der „Wahrheit“, und zwar im buchstäblichen Sinne: Zwei Gorki-Schauspielerinnen spielen Lieferando-Rider. An einer früheren Stelle verhandelten die vier Figuren, dass sie im Grunde allesamt gar keinen Kontakt zu Menschen aus dem Niedriglohnsektor hätten. Gleiches gilt ja ehrlicherweise auch für viele Menschen aus der Theater-Bubble. Und wie lässt sich in dieser zynischen Konstellation Kritik platzieren? „Wenn Typen wie ich“, und dabei zeigt Taner Şahintürk alias Davide in die erste Reihe, „für Typen wie ihn 45 Minuten durch Schneeregen fahren, um ihm eine Schale Süßkartoffel-Sticks zu liefern, und er denkt, das ist okay so. Warum denkt er, das ist okay so?“ Beide Modi – Schauspiel und Anklage (eines Publikums, von dem angenommen wird, dass es gleichfalls Lieferando-Dienste in Anspruch nehme, ETFs habe und schlicht „Teil des Systems“ sei) – greifen hier zu kurz. Und vielleicht weiß das auch Nora Abdel-Maksoud und überantwortet das Finale der Berliner Rockband Chuckamuck, die dem partyhungrigen Premierenpublikum ihren Song „Sayonara“ entgegenbrüllt. //

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