Aus der völligen Dunkelheit lösen sich allmählich erdfarben verschmierte Körper. Elf Gestalten nehmen Konturen an, bewegen sich, kriechen auf die lose im Saal verteilten Besucher zu. In ihrer Nacktheit mischen sich Schönheit und Erbärmlichkeit, das Publikum schwankt folglich zwischen Irritation und Ergriffenheit. Bis man ahnt, dass die Kreaturen, die aus dem ununterscheidbaren Schwarz geboren werden, wir selber sind. Wie Spiegelbilder richten sich die Tänzer vor uns auf, schauen Einzelnen herausfordernd in die Augen, bahnen sich ihren Weg durch das Menschenlabyrinth.
„For the Sky Not to Fall“ hat die vielleicht bedeutendste südamerikanische Choreografin, Lia Rodrigues, ihre jüngste Produktion genannt. Deren Uraufführung eröffnete am 19. Mai im Festspielhaus Dresden-Hellerau das Festival Projeto Brasil, ein Gemeinschaftsprojekt mit HAU Hebbel am Ufer Berlin, Kampnagel Hamburg, dem tanzhaus nrw Düsseldorf und dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt.
„The sky is already falling“, stellte hingegen die Festivalzeitung im Untertitel resigniert fest und spielte, wie so oft bei diesem Festival, auf den Mai-Putsch in Brasilien an. Voreilig. Zumindest im Falle der Kunst. Denn die im Centro de Artes da Maré auf Zementboden und unter einem Blechdach in einer Favela Rios entstandene Choreografie bleibt nicht beim anfangs flehenden, erbarmungswürdigen Gestus stehen. Gleichwohl verfehlte dieser stumme Schrei der Kreatur seine herausfordernde...