Wo leben Sie jetzt? Sie sind Hausautorin am Nationaltheater Mannheim und haben dort gerade Ihr eigenes Stück inszeniert. Wie sieht die Situation aus?
Ich lebe zur Zeit in Berlin, bin aber oft in der Ukraine (Lwiw, Kyjiw, Saporischschja) unterwegs. Am 22. April hatte ich die Premiere von „Wie man mit Toten spricht“ im Nationaltheater Mannheim. Dieses Stück habe ich selbst geschrieben und inszeniert. Zur Zeit kuratiere ich (zusammen mit Johannes Kirsten und Sasha Marianna Salzmann) das Projekt „Während die Geschichte sich selbst schreibt“ am Maxim Gorki Theater in Berlin.
Sie beschreiben eine Flucht. Wie gehen Sie mit Fluchterfahrungen in der Literatur um?
Ich denke, man kann damit genauso umgehen wie mit jeder anderen nuancierten traumatischen Erfahrung. Da ich persönlich oft in die Ukraine reise, geht es in meinen Texten meist nicht um die Erfahrung der Evakuierung, sondern um die andauernden Erfahrungen des russisch-ukrainischen Krieges – sowohl 2014 bis 2022 (ich habe in diesen acht Jahren im Osten der Ukraine gearbeitet, in den Städten an der Frontlinie) als auch 2022 bis heute.
Was kann gerettet werden?
Um ehrlich zu sein, würde ich lieber weniger poetische Fragen beantworten.
Welche Rolle spielen Lieder? Sowohl für die Ukraine als auch für Ihren Text? Welche Rolle spielt die Musik?
Ich denke, Lieder und Musik können eine Möglichkeit sein, eine Geschichte zu erzählen, wenn andere Erzählinstrumente nicht funktionieren. Zum Beispiel haben wir zusammen mit dem Komponisten Yuriy Gurzhy (mit dem wir auch schon beim Projekt „What is Jewish music“ zusammengearbeitet haben) für das Projekt „Wie man mit Toten spricht“ eine Reihe von Liedern und Musikkompositionen geschrieben – einige erzählen von der Erfahrung des nächtlichen russischen Luftangriffs, einige vom so genannten „Frieden“ mit denselben Russen, einige von der Möglichkeit eines Atomkriegs, einige vom Dritten Weltkrieg, vor dem die Ukraine Europa gerade schützt.
Die Textnachrichten, die im Text erscheinen, verleihen dem Text eine Unmittelbarkeit. Wie verschieben sich Nähe und Distanz in Zeiten des Krieges?
Letztes Jahr habe ich in Lviv eine Anstecknadel mit zwei Worten auf Ukrainisch gekauft – „Як ти?“ („Wie geht es dir?“). Das ist die Botschaft, die alle Ukrainer einander oft schicken – nach jedem neuen russischen Raketenangriff, Angriff durch russische Drohnen usw. Es ist natürlich auch eine „Ich liebe dich“-Nachricht, die Art von „Ich liebe dich“, die man den Menschen schickt, die vielleicht schon getötet wurden. Im Allgemeinen wünsche ich niemandem diese Erfahrung, mit Ausnahme aller Russen natürlich.
Was bedeutet Empathie in einem Text in Zeiten des Krieges?
Es bedeutet, nicht etwas zu schreiben, von dem man nicht möchte, dass andere über die eigene Erfahrung schreiben.
Das Stück können Sie hier lesen.