Auftritt
Oldenburgisches Staatstheater: Betont präzise und seelenlos
„Das Ende des Westens“ von Lars Werner (UA) – Regie Łukasz Ławicki, Bühne & Kostüm Nina Aufderheide, Musikalische Leitung: Henrik Demcker Programmierung / künstlerisch-technische Mitarbeit Jakob Geffert, Digitalkostüm Marius Alwan Meyer & Wanderzirkus e.V., Pixelmapping Frieder Gätjen, Lichtdesign Olaf Brunkhorst
von Jens Fischer
Assoziationen: Theaterkritiken Niedersachsen Dossier: Uraufführungen Łukasz Ławicki Oldenburgisches Staatstheater

Die Zukunft hat natürlich schon in der Vergangenheit begonnen und läuft in Lars Werners gleichnamigem Stück auf „Das Ende des Westens“ zu. Diese angeblich „größte Show aller Zeiten“ wirbt nicht nur digital mit einem Propagandakrieg für sich, sondern auch analog mit der massenmörderischer Aggression gegen ein europäisches Land und positioniert sich damit grundsätzlich gegen Völker-, Menschenrechte, Demokratie und den Liberalismus des Westens. Produzent all dessen sei ein ehemaliger KGB-Agent. Namen nennt der Autor nicht, aber alle wissen ja Bescheid. Seitdem die USA das transatlantische Bündnis zunehmend aufweichen, macht Europa als Archiv westlicher Werte einen pittoresk verlorenen Eindruck.
Vor einer feindlichen Unterwanderung scheint Lars Werner warnen zu wollen. Dafür hat er sich Sascha ausgedacht. Was wir über die Neue in einer russischen Trollfabrik erfahren? Sie trinkt morgens löslichen Kaffee, findet sich nicht schön, würde gern mal nach Berlin, New York, Paris reisen, wird von einer Kollegin angebaggert und erahnt dabei so etwas wie Glück außerhalb der Tristesse eines totalitären Systems. So könnte Saschas Geschichte nach dem Vorbild von Ludmila Sawtschuk aufgeblättert werden, die 2015 über ihre Arbeit als Kreml-Trollin an der Savushkina Straße 55 in St. Petersburg berichtet hat. Die genaue Adresse des Bürogebäudes wird auch im Stück genannt, es war Sitz der Internet Research Agency des Oligrachen Jewgeni Prigoschin, Putin-Freund und Chef der Privatarmee Gruppe Wagner. Also hebt ein sehr gut recherchiertes Whistleblowerin-Drama an? Im Stil des psychologischen Realismus, in dem sich Werner bisher etwa mit Rechtsradikalismus im Osten Deutschlands oder einer AfD-Regierung in Gesamtdeutschland beschäftigt hat? Nein, der Autor verlässt sein Erfolgskonzept und reiht Erzählsätze aneinander, ohne Zuschreibungen an Figuren.
Wer spricht hier? Eine KI? Hacker, Programmierer oder cyberkriminelle Staatsdiener? Zur Uraufführung des Auftragswerks am Staatstheater Oldenburg hat Łukasz Ławicki die Spieler:innen Konstantin Gries, Tobias Schormann, Katharina Shakina und Tamara Theisen in blinkende Arbeitsuniformen stecken lassen und als starrende Sprechmaschinen inszeniert. Wie ferngesteuerte Roboter nehmen sie in Schreitchoreografien ihre Stellungswechsel vor. Eine Handlung im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Auch szenisch passiert wenig. Wenn mal Geschehen illustriert wird, dann auf Minimalissimus-Niveau. Macht eine Figur einen „Abstecher in die Meme-Abteilung. Eine Etage tiefer“, dann hüpft sie von einem höheren auf ein tieferes Podest. Höchst abwechslungsreich ist hingegen der Text mit allen möglichen Konstellationen für vier Stimmen instrumentiert. Betont präzise und seelenlos wird gesprochen. Wie bei digitalen Sprachsystemen gibt es aber auch künstliche Einfärbungen der Artikulation, die Gefühle simulieren sollen. In eiskalter Bühnenbildatmosphäre.
Kabel und Lichterketten hängen herum. Screens, Monitore, Ladestationen sind platziert. Schalter animieren zum Herumfummeln und auf einem Laufband kann das Ensemble den Strom für der Performance gleich selbst produzieren. Der Spielraum ist als digitale Welt gestaltet, gerastert von leuchtenden Quadraten, die – passend zum Thema Internet – eine Netzstruktur bilden. Die kommt nach und nach ins Schwanken, löst sich in Pixelstürmen auf, aus denen eine 3-D-Animation des zynischen Zaren im Kreml entsteht. Über den behaupten die Trolle, er habe schon in den 1980er Jahren die Kampagne für das Ende des Westens gestartet – als Start in die Zukunft eines triumphalen Wiederaufstiegs Russlands zur angstvoll respektierten Großmacht.
Dafür braucht Putin Trollfabriken. Für Freunde und Kenner des Digitale-Medien-Jargons erklärt Werner ihre Arbeitsweisen. Niemand sei dort wirklich jemand. Wenige Menschen würden als diverse Online-Identitäten wie „Streubomben-Munition“ ihre Desinformationen verbreiten, die den Westen verunsichern, destabilisieren und rechte Parteien zur Macht verhelfen sollen. Gesucht und gefunden würden dazu Bruchstellen im System. Beispiel Paris, 2024. „Die Olympia-Lust in Frankreich ist gar nicht mal so groß“, lautet die Analyse. Da gilt es anzudocken und zu behaupten: „Ganz Paris versinkt kurz vor Olympia in einer Bettwanzenplage und schuld sind die Geflüchteten.“ Diese Hysterie haben russische Blogger mit gefälschten Websites zunächst auf X initiiert, dann berichteten westliche Medien ohne Gegenrecherche von den Wanzen. „Derart reingewaschen ist die Lüge in der Welt.“ So verbreiten die Trolle ihre emotionalisierenden Fake News. Beeinflussen Meinungen, schüren Konflikte, polarisieren Diskurse, vergiften Debatten, wirken auf Wahlen ein. Machen PR-Arbeit für Putins Imperialismus. Und freuen sich über eine neu erfundene Maschine, „die alles liest. Und dann … kann sie alles schreiben“. Also als marodierende Troll-Armee unmenschlich schnell das Internet mit immer neuen Lügen und Hasstriggern fluten.
Das alles ist bekannt, das Stück daher kein investigativer Clou. Es verdeutlicht Strukturen, nicht aber wie Sascha & Co. sich darin verheddern und schuldig werden. Hier geht es vor allem gegen Putin. Mit Fakten und Spekulationen zu dessen Geschichte wird begründet, warum das Internet zum Instrument der Manipulation degeneriert. Diese eher eindimensionale Sicht entwickelt die Inszenierung kurzweilig durch die vier Dimensionen. Optisch ist das ziemlich beeindruckend und das Ensemble einfach toll in der ekstatischen Diszipliniertheit ihres Spiels.
Erschienen am 19.11.2025

















