Theater der Zeit

Nachruf

Die Anmut des leisen Tons

Zum Tod des Regisseurs und Intendanten Christoph Schroth

von Hans-Dieter Schütt

Erschienen in: Theater der Zeit: Publikumskrise (11/2022)

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Christoph Schroth
Christoph SchrothFoto: Marlies Kross

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Bei Christoph Schroth denke ich an einen Brechtsatz: „In der Kunst genießen die Menschen das Leben.“ Dieser Satz war eine DDR-Weile lang das Motto des Staatstheaters Schwerin. Kunst stürzt, im Geiste, Verhältnisse um – aber es kostet nicht den Kopf. Doch, den sehr wohl: Ohne freies Denken ginge nichts. Ginge nichts an den Grund, der uns aufreißt. Das aber ist, solange es Spiel bleiben darf: Genuss. Ja, so genießen Menschen das Leben.

Von 1974 an hat Schroth in Schwerin als Intendant und Regisseur ein Theater betrieben, das zum Fußball aufschloss: Das Publikum kam in Sonderzügen. Zum „Faust“ etwa: Das war eine vielfarbige ­Wollust, die kein einziges Gefühl der Erdenexistenz verheimlichte. Im Frühlingsherbst der DDR dann der Schweriner „Wilhelm Tell“,
über dessen Gastspiel in Berlins Volksbühne Heiner Müller schrieb: „Tumult unter Zuschauern – das war im Oktober 1989 das Freiheitsdrama.“

Schroth, Dresdner des Jahrganges 1937, hat Journalistik ­studiert. Ihm gelang durch gründliches Zweifeln an den Beschönigungspflichten die Flucht aus dem Beruf – bevor dieser ihn verbiegen konnte. Er wurde Assistent am Berliner Maxim Gorki Theater, ging 1966 nach Halle, wo seine Inszenierung „Zeitgenossen“ (von Stolper/Gabrilowitsch/Raisman) für Furore sorgte. Ich sehe sie noch immer, die beiden Hauptdarsteller: Kurt Böwe ganz kerlige Kraft, Martin Trettau kantig, eher stockend und bedachtsam, mit einem kratzig-leisen Charme, wo Böwe lustvoll dröhnte. Die zwei Zusammengehörigen damals auf den Hallenser Brettern. Zwei stehen hier für alle – eines jeweils großen, großartigen Spieltrupps von Schroth, erst in Halle, dann in Schwerin, in Cottbus. Er arbeitete für Wert und Weihe des Ensembles. Wo er wirkte, geschah Aufregendes: Menschen entsprachen in ihrer Arbeit einander, und wir wissen, wie selten das inzwischen geschieht. Was zusammenhielt, war diese Wahrheit: Nichts wirklich Gutes wird erfunden ohne größeren ­Zusammenhang. Ensemble: Das französische Wort bedeutet Gesamtheit, Einheit, lässt aber im Gegensatz zum Deutschen die Einzelnen, aus denen es sich bildet, noch erkennen. Schroth war ein leidenschaftlicher Gemeinsamkeitsarbeiter. Heute, bei all den Zersplitterungen und Auf­lösungen, wäre so einer ein Einsamkeitsarbeiter.

Die künstlerische Auf­wärts­euphorie der Hallenser damals trug den Keim einer ideologischen Selbstgewissheit in sich, Schroth sah’s und zog die Konsequenz. Er hatte vergeblich versucht, dunklere Farben gegen ­pures Staatsbejahungstheater zu setzen. „Ich erinnere mich an das erdrückende Gefühl, eine Schlacht verloren zu haben“, so der Regisseur Jahre später. ­„Meine Inszenierung der ‚Landshuter Erzählungen‘ von Martin Sperr wurde abgesetzt, Lorcas ‚Yerma‘ bereits während der Proben ­beargwöhnt, behindert, abgewürgt.“

Wechsel nach Schwerin. Und eines Tages, in der sehr späten Zeit der DDR, rumorten unerträglich laut – unmittelbar vor Beginn der Schatrow-Aufführung „Blaue Pferde auf rotem Gras“ am Berliner Ensemble – Motorräder über den Theatervorplatz. Rowdys? Sie gehörten zur Inszenierung des Gastregisseurs Schroth – sein feuriges Leninstück setzte dem zunächst sehr ­erschrockenen Publikum den Benzinhauch einer so ganz anderen Jugend vor. Die sich am Schiffbauerdamm gewissermaßen jenen Weg freiknatterte, der ihr ansonsten verbaut schien. Schroths ­Inszenierung befehdete bürokratischen Mulm sowie den fanta­sie- und damit intelligenzfeindlichen staatlichen Starrsinn.

Berliner Kulturpolitik war zur Wendezeit zu feige für einen BE-Intendanten Schroth. Konkurrenz zeigte ihren innersten Kern: Intrige und Missgunst. Beides gehörte nie zu Schroths ­Talenten, er ging ans Staatstheater Cottbus. Ein Intendant von 1992 bis 2003. Wieder wird sein Ensembletheater zum Ereignis, ­diesmal weit über die Lausitz hinaus. Wieder pflegt er jene Spektakel aller Sparten und Spielarten, die, von Benno Bessons Volksbühnen-Spektakeln angeregt, in Schwerin „Entdeckungen“ hießen, nun beziehungsreich „Zonenrandermutigung“. Ob er Brecht oder Schiller, Trolle oder Tabori auf die Bühne brachte: Schroth beschwor selbstkritisches Vermögen und die Lust, jenen Beton der Strukturen zu sprengen, der den Geist und das Gefühl kaserniert.

Als Regisseur wollte dieser gedrungen Federnde auffällig sein nur in Gemeinsamkeit – mit Könnern ohne Aufputz. Weil er das selber war. Wesensstark wurde er unter Leuten, die kein ­Wesen um sich machen. Belehrer war er in Verborgenheit, am deutlichsten im Leiseton. Als beratender Diener am fremden Kunstwerk trumpfte er so auf, dass seine Zurückhaltung stets ­anmutig blieb.

Ich sehe Stephanie Schönfeld, als Käthchen von Heilbronn, 2004, in der Inszenierung von Schroth in Cottbus, da war er nicht mehr Intendant. Käthchen fällt in Ohnmacht. Immer wieder. Das ist der Preis, den Balance kostet. Kleists Mädchen als Menschenkind, das alles durchmacht, ohne sich auch nur eine Sekunde von sich selber abzuwenden. So zu leben ist große Kunst. Wäre, wenn man es durchhalten könnte, der größte Genuss. Und bliebe größte Mühe. Christoph Schroths Theaterarbeit porträtierte die Kriege der Träumer im Kampf gegen die Träume der Krieger. Sein ­Antrieb war die unwirklichste aller Hoffnungen: Menschen, die sieglos gewinnen werden.

Am 20. September 2022 ist Christoph Schroth 85-jährig in Berlin gestorben. //

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