Auftritt
Neuköllner Oper Berlin: In die eigene Welt abgehoben
„1000 Airplanes on the Roof“ von Philip Glass (Komposition) und David Henry Hwang (Text) – Regie Paige Eakin Young, Ko-Regie Mara Snip, Musikalische Leitung Sarah Taylor Ellis, Bühne und Kostüme Ana Ines Jabares-Pita, Lichtdesign Catalina Fernandez
von Thomas Irmer
Assoziationen: Freie Szene Berlin Theaterkritiken Musiktheater Neuköllner Oper

Zunächst tritt Mara Snip im Glitzerkleid ans Mikro einer kleinen Showbühne und freut sich über das Publikum, lässt ein paar Sprüche zum Leben in Neukölln raus, alles in nahezu akzentfreiem Englisch. Snip kommt aus den Niederlanden und erzählt einen Teil der eigenen Kindheitsgeschichte. Insofern ist sie eine Solo-Performerin und noch nicht in der Rolle von M., wie sie Philip Glass und David Henry Hwang als Musikstück mit Sprechtext 1988 entwickelten.
Damals ein experimentelles Gebilde für die Bühne mit einem Philip-Glass-typischen Miniorchester aus Orgel, Synthesizer und Flöte, erzählte das Stück die Erfahrung einer Frau, M., die mutmaßlich von Aliens entführt wurde und wieder zurückkehrte – ein Topos der US-amerikanischen modernen Legendenwelt wie Elvis- und Hitler-Sichtungen. Die entscheidenden Sätze kommen von den Aliens selbst, wie M. berichtet: Du kannst davon erzählen, aber niemand wird dir glauben. Du bist ein Outcast.
Die Begegnung der Dritten Art könnte jemanden zu etwas Besonderem machen und vielleicht sogar identitätsprägend sein, aber es gäbe eben auch die Gefahr der sozialen Ausgrenzung und Stigmatisierung.
In der Neuköllner Oper haben sie genau daraus ein so kraftvoll wie verspieltes FLINTA*-Selbstermächtigungsstück geschaffen, zu dem der Raumentwurf von Ana Ines Jabares-Pita geschickt beiträgt. Denn hinter der Showbühne gibt es eine weitere Spielbühne hinter Gaze, und hinter einem weiteren Vorhang ist das exzellente Orchester platziert, das man zunächst gar nicht sieht: Sarah Taylor Ellis führt dort im Halbrund Karola Elßner, Alba Gentili-Tedeschi, Holly Volker Schlott, Rachel Susser – wie alle Beteiligten FLINTA*-Personen.
Interpretatorisch gelingt es Regisseurin Paige Eakin Young und der spielenden Ko-Regie Mara Snip, das Stück über die kellnernde und sich dabei verliebende Hauptfigur in die Neuköllner Gegenwart und die Lebenswelt von Snip selbst zu holen. Zum anderen gibt es auch wilsoneske Zutaten wie die im Hintergrund mit einem außerirdischen Kopfschmuck schreitende Sängerin Sarah Bodle, die mit ihrer gewaltigen Stimme dem performten Text noch eine zweite Ebene der inneren Welt zwischen Vorderbühne und Orchester hinzufügt. Diese Traumfigur, die bald überall auf, neben und hinter der Bühne herumgeistern kann, funktioniert auch als Gegengewicht zu der camp-lässigen Performance von Mara Snip, die mit ihrer autobiografischen Erzählung von ersten Selbst-Ahnungen bei den Großeltern auf dem Land das Ganze zudem als Sängerin beglaubigt.
Eine ungewöhnliche Musiktheaterproduktion der Neuköllner Oper unter der neuen Leitung von Rainer Simon, mit der die Tradition des Hauses gewissermaßen aufgefrischt und erweitert wird. Als selten aufgeführtes Stück sind diese „1000 Airplanes on the Roof“ zudem eine echte Perle.
Erschienen am 24.10.2025


















