Theater der Zeit

Künstlerinsert

Helenes Auto

Der Künstler Olaf Nicolai und die Dramaturgin Sabrina Zwach über Helene Weigels Mercedes Ponton und das Projekt „Brecht in der Auto-Werkstatt“ im Gespräch mit Dorte Lena Eilers

von Dorte Lena Eilers, Sabrina Zwach und Olaf Nicolai

Erschienen in: Theater der Zeit: Theater Thikwa Berlin: Ungezähmtes Spiel (06/2018)

Assoziationen: Berlin Theatergeschichte Akteure Dossier: Bertolt Brecht Berliner Ensemble Volksbühne Berlin

Anzeige

Anzeige

Sabrina Zwach, Olaf Nicolai, am 18. Januar 1967 kauft Helene Weigel als Dienstwagen für das Berliner Ensemble einen Mercedes-Benz Ponton. In der DDR sind zu dieser Zeit die Auswirkungen des 11. Plenums des ZK der SED zu spüren, Künstler und Intellektuelle werden als Gegner des Sozialismus gebrandmarkt. Im Westen erreicht die Studentenbewegung ihre Hochphase. Muss dieser Wagen, der als erstes Mercedes-Modell der Nachkriegszeit für das Wirtschaftswunder der BRD stand, nicht wie eine rollende Provokation gewirkt haben?

Sabrina Zwach: Helene Weigel war eine harte Verhandlerin. Sie hatte sowohl künstlerische als auch ökonomische Belange fest im Blick. Sie war Kommunistin, aber auch Österreicherin, was sie taktisch klug einzusetzen wusste. Werner Riemann, einer der ältesten Mitarbeiter des BE, hat uns erzählt, wie Weigel mit dem Mercedes Ponton ganz nach Belieben Dinge, Gedanken, Menschen über die so nah am BE gelegene Grenze habe transportieren können. Dieser Wagen konnte scheinbar mühelos alle Widerstände dieser Zeit überwinden. Ein Glücksvehikel. Ein transitorischer Ort.
Olaf Nicolai:
Weigel hat das Auto wohl wie ein Produktionsmittel verstanden, und davon wollte sie eben die besten haben. Sind für die Weltrevolution die besten Dinge nicht gerade gut genug!?

Doch nicht einmal Walter Ulbricht fuhr so ein Auto – obwohl er gerne hätte. Theodor W. Adorno soll über Brecht gesagt haben, er verbringe zwei Stunden täglich damit, sich Dreck unter die Fingernägel zu schieben, um proletarisch zu wirken. Der Wagen muss im Stadtverkehr der DDR extrem aufgefallen sein.
Zwach:
Natürlich. Und selbstverständlich steht Mercedes-Benz für etwas.
Nicolai: Als ich von dem Auto hörte, musste ich an Heiner Müllers Nachruf auf Zino Davidoff denken, die Zigarren, die Genuss zur Erfahrung machen. Mercedes war ein Symbol für Fortschritt, für avancierte Technologie. Auch in einer marxistischen Auffassung von Ökonomie geht es darum, die Produktionsmittel so weit wie möglich zu entwickeln. Natürlich unter gleichzeitiger Herstellung anderer Produktionsverhältnisse. Die Widersprüche, die im Konkreten liegen, sind interessant. Wieso wird das „Richtige“ im „Falschen“ produziert?

Es gibt nur wenige Leute, die sich an das Auto erinnern. Es existieren keine Fotos von damals. Ein Mercedes Phantom. Wo hatte Weigel dieses Auto her?
Nicolai:
Es gibt den Fahrzeugbrief, in dem ihr Name aufgeführt ist. Dort taucht als erster Eigentümer ein Kürzel auf: bezogen über MuM, vermutlich eine sogenannte Beschaffungsstelle. Ein Stempel besagt: Dieses Kraftfahrzeug ist personengebunden. Der Eintrag wurde im Gegensatz zum ersten nicht vom Kreis bevollmächtigt, sondern vom Polizeipräsidium. Die Sache scheint also über höhere Stellen gelaufen zu sein.
Zwach: In den Archiven findet sich zu dem Wagen kein Eintrag, im Gegensatz zu Brechts Steyr, von dem es zahlreiche Fotos gibt. Tatsächlich ein Phantomauto …
Nicolai: … bis dann plötzlich Anekdoten auftauchten in den Gesprächen, die wir führten, beispielsweise mit dem ehemaligen BE-Dramaturgen Hans-Jochen Irmer. Auf einmal gab es das Auto doch – als Erzählung. Vielleicht war es auch als Tarnung gedacht – bezogen auf den Westen, wo man mit einem Mercedes nicht groß aufgefallen ist. Es sei denn, er hat ein Ostberliner Kennzeichen, das macht natürlich einen signifikanten Unterschied.

Durch diese Geschichten besitzt das Auto eine faszinierende Aura. Es blickt einen tatsächlich, wie es bei Benjamin heißt, aus einer Ferne an. „Brecht in der Auto-Werkstatt“ ist eine Kooperation des Berliner Ensembles mit dem KW Institute for Contemporary Art. Was wird mit dem Wagen passieren?
Nicolai:
Wir waren uns von Beginn einig: Das Auto soll kein Requisit sein, an dem man sich wie an einem historischen Fundstück ideologisch-philologisch abarbeitet. Es sollte in Zusammenhänge gestellt werden, in denen es funktioniert. Und das ist die Werkstatt. Wir haben also ein Auto, das in einer Werkstatt im Prenzlauer Berg von Mechanikern repariert wird. Eine parallele, zweite Ebene ist das Theater. Auch das BE war ein Ort, an dem die Idee von Werkstatt, Labor eine große Rolle spielte. Sabrina brachte das Stück „Mann ist Mann“ ins Spiel. Da gibt es den wunderbaren Satz: „Hier wird heute Abend ein Mensch wie ein Auto ummontiert, ohne dass er irgendetwas dabei verliert“, der für mich auch als Titel unseres Projekts fungiert, auch wenn Marketingabteilungen den von Ihnen genannten kürzeren bevorzugen.
Zwach: Auf verschiedenen Ebenen geht es um Arbeit. Was ist Arbeit? Was ist Haltung? Wie kann man Haltung umbauen? Was ist künstlerische Arbeit? Was arbeitet der Schauspieler? Wir werden „Mann ist Mann“ nicht „inszenieren“. Wir beschäftigen uns mit dem Start einer Theaterproduktion, einer Art ersten Probe. Wir haben den Stücktext und viele Referenztexte als Material, die wir uns in verschiedenen Lesesituationen versuchen anzueignen.
Nicolai: In Georg Klaus’ Buch „Was ist, was soll Kybernetik?“ ist das Auto das Modell für Kybernetik schlechthin. Das Buch ist 1966 in Ostberlin erschienen, ein Jahr vor dem Kauf des Mercedes.
Zwach: Das Auto wird zudem mit Kameras und Mikros versehen, sodass wir oder die Schauspieler oder ein Gast dort Texte sprechen können. Die Werkstatt soll von Freitag, 29. Juni, bis Sonntag, 1. Juli, in fünf Schichten geöffnet sein. Leider sind unsere BE-Schauspieler am Ende der Spielzeit im Haupthaus gebunden. Mit dabei sind die freien Schauspieler Susanne Jansen und Matthias Buss.
Nicolai: Eine Proben-Werkstatt-Situation, in der zwei Realitäten entstehen. Ich kann mir die Werkstatt anschauen, während das Theater nebenher läuft. Ich kann mich auf das Theater konzentrieren und die Werkstatt als Spielstätte betrachten. Ich kann mich aber auch mit den Überlagerungen und Interferenzen beschäftigen. Was mich fasziniert, ist die Möglichkeit, jede Realität auch eine andere sein zu lassen, ohne massiv in sie einzugreifen, man positioniert sich einfach anders zu ihr.

Die Zuschauer sehen den Mechanikern beim Arbeiten am Mercedes zu. In der Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden können Kunden die Arbeiter bei der Endmontage beobachten. Arbeit als Handwerk wird ausgestellt – als etwas, das bald verschwinden wird?
Nicolai:
Es geht nicht um das Ausstellen von Arbeit. Man schaut den Leuten beim Arbeiten zu, aber diese Arbeit wird nicht für den Zuschauer inszeniert.
Zwach: Wir stellen lediglich Aufgabenlisten zusammen mit Dingen, die machbar sind während der Dienstzeiten. Jetzt aber in eine Fake-Authentizität abzutauchen …
Nicolai: … eine Manufactum-Welt …
Zwach: … wo alles angeblich noch in Ordnung ist, interessiert uns nicht. Es geht nicht um Bewertung, auch nicht um das Ausstellen oder Überhöhen von Arbeit, sondern um das Sichtbarmachen.
Nicolai: In etwa so wie in der bildenden Kunst die Appropriation Art funktioniert. Man verschiebt etwas, aber man verändert es nicht. Es werden Zusammenhänge sichtbar, ohne dass man in das Setting offensichtlich eingegriffen hat. Mich interessiert, wie das Element des Fiktiven, das Realität konstituiert, justiert wird.

In „Mann ist Mann“ wird ein Packer zum Soldaten ummontiert. Der Coup, der dazu führt, ist ein Fake. Er soll einen falschen Elefanten verkaufen, was er auch tut, weil er glaubt, er sei echt. Das hat viel mit Theater zu tun: Die Vorgänge sind gespielt, könnten aber doch Haltungen beeinflussen. Auch der Mercedes Ponton könnte ein Fake sein.
Zwach:
Unser Elefant ist das Auto?
Nicolai: Ist der Fake im Stück wirklich ein Fake? Der Packer macht das Geschäft, weil er nicht glaubt, dass es ein Fake ist. Realität konstituiert sich immer auch durch das Fiktionale. Interessant ist die Art der Verzerrung.

Heute ist der Mensch sowieso Selbstarbeiter, wirft sich Pillen ein, macht Yoga, damit die Maschine Mensch effizient weiterläuft. Man hat den Soldaten internalisiert.
Nicolai:
Da bin ich mir nicht so sicher. Man reagiert auf die Begegnung mit der Realität. Anders existieren Subjekte nicht. Sie müssen sich permanent den Bedingungen gemäß umbauen. Auch Arbeit ist eine Umformatierung desjenigen, der sie leistet. Es ist kein Zufall, dass es im amerikanischen Raum so viele Techno-Utopien gibt, Donna Haraway, Cyberpunk, in denen der Umbau des Menschen als eine progressive, positive Perspektive gedacht wird.
Zwach: Ich sehe mich für meinen Geschmack aber mit zu viel Umbau am Menschen konfrontiert. Man kann heute nicht mehr zwölf Personen zum Essen einladen, weil zwei kein Fleisch mehr essen, drei trinken keinen Alkohol, einer hat eine Laktose- und einer eine Glutenintoleranz. Diese Grundkulturtechnik von Kommunikation ist längst nicht mehr mit Freude, Lust, Sinnlichkeit verbunden, sondern mit Strafe, Zwang, schlechtem Gewissen. Da ist eine ganz elementare Ummontage am Menschen im Gange.
Nicolai: Sind das nicht kulturpessimistische Stereotype? Die seit zweihundert Jahren durch die ideologischen Debatten geheizt werden und hauptsächlich von denen formuliert werden, die den intellektuellen Diskurs bestimmen möchten. Kulturpessimismus wirst du selten von unten hören.

Er drückt sich anders aus.
Nicolai:
Aber das ist kein Kulturpessimismus, das ist Protest gegen die Verhältnisse. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"

Anzeige