Stück Labor 2023/24
Laura Chaignat, Anaïs Clerc, Fabienne Lehmann, Silvan Rechsteiner
von Michael Gmaj
Erschienen in: Theater der Zeit: Nachhaltigkeit (03/2025)
Assoziationen: Schweiz Dramatik Dossier: Stück Labor – Neue Schweizer Dramatik Theater Basel Luzerner Theater Bühnen Bern
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Das Förderprogramm Stück Labor ermöglicht aufstrebenden Dramatiker:innen eine Hausautor:innenschaft in Kooperation mit etablierten Schweizer Theatern. Dort können sie mit Unterstützung des Teams und Ensembles ihre kreativen Visionen entwickeln und zur Aufführung bringen. In einer Zeit, in der die Gesellschaft in sozialen, politischen und kulturellen Fragen immer einfachere Antworten einfordert, gibt das Programm Autor:innen die Zeit, sich tiefergehend mit Themen auseinanderzusetzen. Laura Chaignat erforscht in ihrem Text die fundamentale Bedeutung von Freundschaft in einer zunehmend isolierten Welt. Anaïs Clerc thematisiert die Orientierungslosigkeit in einer sich schnell verändernden Gesellschaft. Fabienne Lehmann beleuchtet die oft vergessenen Geschichten der ländlichen Arbeitswelt und wie wir damit „Heimat“ definieren. Silvan Rechsteiner schließlich untersucht die Weichenstellungen im Leben eines jungen Mannes, der zwischen seinen Träumen und der Realität navigiert. Mit Uraufführungen an renommierten Theatern in der Schweiz setzen diese Autor:innen neue Impulse und laden das Publikum ein, sich mit einem jungen Blick auf unsere Zeit auseinanderzusetzen.
LAURA CHAIGNAT ist Performerin, Radiomoderatorin, Comedian und Autorin. Sie hat sich ganz dem humoristischen Schreiben gewidmet, um dann ihre Liebe für Theater zu entdecken. Mit ihrem Soloabend „Presque Phèdre“ (Fast Phädra) feierte sie in der französischsprachigen Schweiz und auf Gastspielen in Frankreich große Erfolge. Mit ihrem neuesten Text stellt sie sich der Frage nach dem Stellenwert der Freundschaft: Was, wenn Freundschaft die einzige Lösung zur Rettung der Menschheit wäre? Alles beginnt mit einer Hochzeit, zu der man, trotz langer Freundschaft, nicht eingeladen wurde. Wir alle kennen den Schmerz von Liebeskummer, aber wie sieht es mit Freundschaftskummer aus? Mit einer autofiktionalen Setzung begibt sich Laura Chaignat auf die Suche nach dem Sinn von Freundschaft. In Anlehnung an die philosophischen Überlegungen von Aristoteles, Cicero, Geoffroy de Lagasnerie und Alice Raybaud stellt sie die Basis unserer Gemeinschaft auf den Prüfstand. Können wir überleben, ohne dass wir Freunde haben? Der Text, den sie auch selbst performt, feierte am 23. Januar am Théâtre du Jura in Délemont seine Uraufführung.
ANAÏS CLERC wurde mit ihrem Dramenprozessor-Stück „brennendes haus“ für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2024 nominiert. Mit „Schimmernde Schluchten“ erzählt sie aus den tiefsten Tälern der Schweiz. Armela hat ihr Dorf verlassen, ihren Bruder Armin hat sie zurückgelassen. Nach einem Todesfall kehrt Armela zurück. Keiner freut sich darüber, denn ihre Rückkehr bringt unbeantwortete Fragen wieder auf den Tisch. Damals gab es im Dorf einen Tumult um eine Flüchtlings- unterkunft, die am Schluss abbrannte. Die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit werden hier mit einer Lawine verglichen. Die meisten Men- schen, die von einer verschüttet werden, verlieren die Orientierung. Wo findet sich die rettende Freiheit? Oben, unten links oder rechts? Dabei wäre die Oberfläche nur eine Handbreit entfernt. Auch die Bernhardiner 38 Hunde sind sich nicht mehr einig, wen sie retten sollen. Wen sich alles schnell wandelt, braucht es neue Wegweiser. Doch wer soll diese festlegen außer wir selbst? Ist es besser, nichts zu tun, oder gerade brandgefährlich? Das Stück wurde am 21. Januar an den Bühnen Bern uraufgeführt.
FABIENNE LEHMANN wuchs auf einem Bauernhof in der Schweiz auf. Geprägt von einer ländlichen Heimat sowie einer Studienzeit in den Städ- ten Basel und Biel, steht sie mit ihrer eigenen Biografie für den Wandel. Totreif, so nennen die Bauern das Korn, wenn es so trocken ist, dass man es nicht mehr mit dem Fingernagel eindrücken kann und es bereit ist zur Ernte. Was heute maschinell gemacht wird, war früher Handarbeit. Das Landleben des vergangenen Jahrhunderts ist ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur. Doch abseits der verklärenden Erinnerung spricht nie- mand über die harte Arbeit oder die Ausbeutung der Menschen die damit zusammenging. Der Umgang mit den Jenischen z. B., die als Fahrende Handel mit den Bauern betrieben und deren Lebensweise man jahrzehnte- lang versuchte, aus der Gesellschaft zu tilgen. Oder Arbeiter:innen, die man „Gast“ nannte und sie damit von der eigenen Geschichte ausschloss. Und nicht zuletzt Frauen, die ein enormes Arbeitspensum zu meistern hat- ten und deren Leistung doch kaum erwähnt wird. Die große Frage bleibt: Was ist Heimat und wie erzählt man sich davon? Das Stück feiert seine Uraufführung am 29. März am Luzerner Theater.
SILVAN RECHSTEINER wurde 2024 mit seinem Stück „Mosaik“ für den deutschen Jugendtheaterpreis nominiert. Vor seiner Laufbahn als Bühnen- autor war er selbst Zugbegleiter bei den Schweizerischen Bundesbahnen. Während seiner Hausautorschaft am Theater Basel ist ein Stück entstan- den, in dem es um die Weichenstellungen des Lebens geht. Bruno möchte Schauspieler werden. Die Berufsberaterin rät ihm zur Bahn. Drei Jahre später prüft er leidenschaftlich Bremsen, kontrolliert Billetts und spricht spätabends durch die Lautsprecher: „Das ist, was ich will!“ Doch zwi- schen ewig gleichen Bahnhöfen begegnet Bruno immer denselben bleichen Gesichtern auf Durchreise mit ihren Schicksalen im Gepäck. Wen lässt Bruno mitfahren? Ist Bruno auf der falschen Bühne gelandet? Das Stück feierte seine Uraufführung am 5. Februar am Theater Basel.