Nachruf
Gesamtkunstwerk Wilson
Ein Nachruf auf einen epochalen Avantgardisten
von Thomas Irmer
Assoziationen: Kostüm und Bühne Musiktheater Regie Akteur:innen Nordamerika Dossier: USA Robert Wilson Düsseldorfer Schauspielhaus Berliner Ensemble
Erschienen am 1.8.2025

Als Regisseur von Oper und Theater, darin zugleich als Lichtdesigner und Bühnenbildner, entwickelte Wilson über Jahrzehnte seinen einzigartigen Stil eines visionären, nichtrealistischen Theaters, das sich aus Quellen wie dem Surrealismus, deutschem Expressionismus, japanischen Theaterformen und Bewegungen im amerikanischen Tanz der 1960er Jahre speiste. Licht war für ihn wie die Farbe eines Malers und dabei, so Wilson, „der wichtigste Schauspieler“.
Robert Wilson inszenierte praktisch auf der ganzen Welt, in etwa fünfzig Ländern, und war auf dem Feld des Theaters der wahrscheinlich globalste Künstler. Sein Freund Andrzej Wirth, der polnisch-amerikanische Theaterwissenschaftler und Gründer des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaften, stellte einst die These auf, dass Wilson bei seinen internationalen Aktivitäten die Datumsgrenze so oft überflogen hätte, dass für ihn die Zeit ein Stück rückwärts gelaufen sei.
Zeit spielte vor allem in seinen frühen Arbeiten eine entscheidende Rolle, die als tranceartig verlangsamte Performances von überlanger Dauer wahrgenommen wurden. Über „Deafman Glance“ schrieb Louis Aragon 1971 in einem Brief an den bereits toten Surrealismus-Kollegen André Breton, dass er das Theater erlebt hätte, von dem sie immer geträumt hätten. Es war auch der Moment, da der damals gerade 30-jährige Wilson in Europa als einer der wichtigsten amerikanischen Künstler wahrgenommen wurde. Später bekam er das...
Erschienen am 1.8.2025