Die Kunst der Vermittlung
Daniele G. Daude wird künstlerische Leiterin am Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr
von Stefan Keim
Assoziationen: Freie Szene Nordrhein-Westfalen Akteure Daniele Daude Ringlokschuppen Freie Szene
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Der Text stellt eine Ergänzung bzw. Erweiterung des Beitrags „Das umarmende Haus – Der Ringlokschuppen Ruhr in Mülheim entstand als soziokulturelles Zentrum und ist heute Heimat der darstellenden Künste im Ruhrgebiet“ von Stefan Keim in der Aprilausgabe von Theater der Zeit dar. Dieser und weitere Artikel zum Thema „Freie Szene“ können hier nachgelesen werden.
Coccondance, kainkollektiv, andcompany & co., Gintersdorfer/Klaßen – viele Kollektive, die heute zu den Stars der freien Szene gehören – haben eins gemeinsam: Wichtige Schritte ihrer Entwicklung unternahmen sie im Ringlokschuppen, in Mülheim an der Ruhr. Als soziokulturelles Zentrum ist diese Spielstätte entstanden und steht auch heute noch zum Teil in dieser Tradition. Nun bekommt der Ringlokschuppen eine neue Leiterin: Daniele G. Daude, Kuratorin, Dramaturgin und Musikerin, eine Spezialistin für die Oper. Große eigene Projekte werden allerdings noch auf sich warten lassen. Viele Förderungen für die jetzige Programmlinie laufen über mehrere Jahre, neue Dinge brauchen einen Planungsvorlauf.
So spricht die neue Leiterin zunächst vor allem über Vermittlungsformate. Mülheim ist eine Stadt mit vielen sozialen Problemen. Daniele G. Daudes Blick richtet sich zuerst auf die Schulen und die Menschen, die nicht direkt nach dem Aufwachen überlegen, was sie sich demnächst im Theater anschauen. „Wir wollen etwas aufbauen, was inhaltlich und strukturell nachhaltig ist“, sagt sie.
Dabei nennt die Deutsch-Französin die Vermittlungsarbeit der Konzerthäuser als Vorbild. Daniele G. Daude hat ihr Musikstudium mit Auszeichnung bestanden, hat für Konzert- und Opernhäuser gearbeitet, an deutschen und französischen Universtäten unterrichtet. Und vor allem hat sie das Ensemble String Archestra gegründet, das Kompositionen von Schwarzen, Indigenen und POC-Komponist:innen der Vergessenheit entreißt. Bei den Aufführungen mit ihrem Ensemble spielt sie selbst Violine.
Kammermusik und Opern gehören bisher selten zum Repertoire des Ringlokschuppens. Es hat welche gegeben, die Eichbaum-Oper draußen an einer U-Bahn-Haltestelle oder vor kurzem die Musiktheaterperformance „Kassia“ vom kainkollektiv. Daniele G. Daude will jetzt das musikalische Profil des Hauses schärfen. „Ich bin ein großer Fan generell von kleinen Formaten“, erläutert sie, „Stücke für zwei, drei, maximal vier Personen. Und das ist hier machbar. Das andere Problem wäre dann die Zugänglichkeit und die Ästhetik, wo wiederum Vermittlungsarbeit ne große Rolle spielt.“
Hier zeigt sich das Denken von Daniele G. Daude. Sie will sich nicht in erster Linie künstlerisch selbst verwirklichen. Der Ringlokschuppen ist kein Stadttheater, wo ein neues Team anfängt und alles anders machen will als die Vorgänger. Viele Förderungen laufen über mehrere Jahre, die Programmstruktur hat sich etabliert. Kommunikation und Vermittlung sind für Daniele G. Daude ebenso wichtig wie die Kunst selbst. „Wir müssen von den Menschen ausgehen“, sagt sie. „Es ist wichtig, die Menschen aus der Stadt ernst zu nehmen. Wir müssen uns anpassen.“
Natürlich hat die neue Leiterin auch große Ideen. Die werden ab Herbst 2024 zu sehen sein. Zum Beispiel eine Reihe zu den Folgen des Berliner Kongresses 1878, der Aufteilung Südosteuropas und der Folgen bis heute. Es geht konkret um Fragen, die auch in Mülheim und in der Region Bedeutung haben. Zum Beispiel um Straßen, die immer noch die Namen von Politikern tragen, die aus heutiger Sicht Kolonialverbrecher sind. Solche Geschichten will Daniele G. Daude erzählen, in einer verständlichen Form. In den vergangenen Jahren hat sie an den Stadttheatern in Oberhausen und Dortmund gearbeitet. Und freut sich, nun wieder in der freien Szene zu sein: „Da kann man viel freier sein, sich besser bewegen und sich diskursiv auch schneller bewegen.“
Wobei sie weiterhin mit Stadttheatern zusammenarbeiten will, nur eben ohne die damit verbundenen Zwänge. Überhaupt ist sie auf dem Weg, möglichst die ganze Stadt kennenzulernen und sich gemeinsame Projekte auszudenken. Sie steht für Kolonialismuskritik, Nachhaltigkeit, Antirassismus, hat einen akademischen Hintergrund – aber sie wirkt locker, gar nicht ideologisch. „Ich geb mir da keine Mühe“, sagt sie lächelnd. „Ich bin so.“
Erschienen am 12.5.2023